Im Schatten des Elefanten
»schaffen sie so viel, wenn sie jung sind! Es ist auch richtig, daß sie dann lange Zeit ohne Beschäfigung leben.«
Aber ihre Miene bestreitet, daß es in Wahrheit das richtige sei. Finster bückt sie; ist erbost, solange sie schon über das Vernommene nachgrübelt. »Also?« fragt sie. Und ihre Miene wiederholt die Frage, ob sie sterben oder nicht sterben. »Ihr kennt Euch darin aus, was?«
Der Gast sagt, daß er sich darin auskenne. »Ihr werdet also wissen, welches Alter sie im Durchschnitt erreichen.«
Es reden noch verschiedene, die Mädchen, mein Bruder Euklid …
»Sie leben gar nicht so sehr lange.« »Kein Pflanzenfresser lebt sehr lange.«
»Ich glaube, sie sterben im allgemeinen mit 25 Jahren.«
»Mit 25 Jahren?« sagt meine Mutter. »Oder mit
25 Jahrhunderten?«
Endlich spricht der Gast, – der in Verzückung lächelt. »Der Elefant ist dasjenige von allen Tieren«, erzählt er uns, »welches mit überlegener Weisheit stirbt … ich meine, er ist das hervorragendste Beispiel, an dem die Natur uns zeigt, wie einer wissen kann, daß er schon tot ist, statt es zu sein und es nicht zu wissen.«
Hier faßt er den Großvater am Arm. Und das ist sonderbar von ihm – bei einem solchen Gespräch. Aber seine Begeisterung ist ungemein groß; hat ihn hold ergriffen.
»Hört Ihr mir zu?« sagt er zu ihm. »Ihre Art zu sterben ist ein Wunder. Kaum bemerken sie, daß sie nichts mehr zuwege bringen und daß sie eine Belastung sind, – zack, – schon machen sie Schluß: halten sich für tot und sterben.«
Das erzählt er dem Großvater – und zwar mit Leidenschaflichkeit, mit innerer Glut. Doch vorher wollte er nicht, daß die Worte meiner Mutter den Großvater erreichten; brachte sie mit seinen eigenen Worten zu anderer Bedeutung; und es schien auch, als habe er versucht, sie über den Tisch weg mit Gebärden aufzuhalten. Warum aber begeistert es ihn jetzt so sehr, dem Großvater das zu sagen?
»Und Ihr müßtet sehen, wie genau sie den richtigen Moment erfassen, in dem sie zur Last fallen würden. Auf die Minute werden sie seiner gewahr.« Hört ihm der Großvater zu? Er zeigt es tatsächlich nicht. Nur, – daß er sein Gesicht ihm zugewendet hat. Doch es mag eine Zufälligkeit sein. Nichts regt sich in seinem Barte, sein Haupt ist geneigt, als schliefe er, und seine Hände lassen nicht einmal an den starken Adern, von denen sie gezeichnet sind, eine Spur des Druckes erkennen, den der Gast auf seinen Arm ausübt.
»In ganz Afrika«, fährt der Gast fort, »auf den Pfaden oder inmitten der Wälder – sieht man nie einen toten Elefanten. Auch kann man nicht sagen, sie begrüben ihre Toten. Sie haben geheime Bestattungsplätze, die sie selber nicht kennen, solange sie lebendig sind, und dahin begeben sich die alten Elefanten, welche glauben sterben zu müssen. Versteht Ihr das?«
Der Gast schweigt einen Augenblick. Aber nicht, weil er Antwort haben wollte. Was er uns gesagt, dünkt ihn eine Sache, die – außerordentlich, wie sie ist – uns nicht veranlassen kann, sein Schweigen zu brechen. Wir schauen immer den Großvater an. Hört er ihm zu? Und versteht er ihn, falls er zuhört?
Trotzdem platzt meine Mutter in die Pause des Gastes hinein. »Aber was tun sie dann?« fragt sie. »Nehmen sie sich das Leben?«
Der Gast fängt an zu lachen. »Keineswegs tun sie
sich Gewalt an«, antwortet er ihr. »Sie setzen sich in Marsch, erreichen den Platz, legen sich nieder und warten darauf zu sterben. Nichts weiter.«
»Aber wenn sie marschieren, sind sie noch auf der Höhe«, sagt meine Mutter.
»Sie haben natürlich noch Kraf«, sagt der Gast und lacht. »Und Ihr müßt bedenken, daß sie nicht wissen, wo eigentlich der Platz ist. Sie müssen ihn suchen. Sie müssen Tage und aber Tage marschieren.« »Dann könnten sie ja bei den anderen bleiben und noch ein bißchen leben«, sagt meine Mutter. »Wozu?« sagt der Gast und lacht. »Um den anderen ein bißchen zur Last zu fallen – und dann zu sterben, wie Hunde am Rand einer Straße?« »Aaaber!« sagt meine Mutter.
»Hierin liegt ihre Weisheit«, sagt der Gast. »An einem gewissen Punkte einzusehen, daß sie nur noch so viel Kraf haben, als sie brauchen, um den Platz zu erreichen, wo es heißt sich niederlegen.« »Ich weiß nicht«, sagt meine Mutter.
25
Dann richtet meine Mutter an den Gast eine Reihe
von Fragen.
Ob er viel herumgekommen ist?
Der Gast ist nicht viel herumgekommen.
Ob er immer am gleichen Platze Jäger gewesen ist? Der Gast
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