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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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schnaubte unwillig. »Und was wäre die Alternative?«
    Victoria starrte sie triumphierend an. Obwohl sie kaum Zeit hatte, in den Büchern zu lesen, die Nora van Sweeten ihr aus Hamburg schickte, hatte sie in den letzten Monaten viel dazugelernt. »Schwitzkuren, Diäten oder Diuretika, also wassertreibende Medikamente«, sagte sie schnell. »Möglich wäre auch eine Zitronendiät. Man isst nur weißes Fleisch, weißes Brot und Fleischbrühe und trinkt viel frischen Zitronensaft.«
    »Du hast etwas vergessen – den Diuretischen Wein von Debreyne.«
    »Habe ich nicht. Seine Inhaltsstoffe sind die Jalapawurzel, die Scillawurzel und etwas Salpeter. All das wird in einem Liter weißem Wein aufgelöst.«
    Adela sog scharf den Atem ein, musste sich dann aber wohl eingestehen, dass sie für heute unterlegen war. »Doktor Espinoza hat verlangt, dass du ihn der Frau einträufelst«, sagte sie widerwillig.
    Victoria nickte vermeintlich ausdruckslos. Sie wusste, Espinoza hasste sie noch mehr als Adela – weil sie eine Deutsche war, weil sie sich oft als aufmüpfig erwies, weil man an ihr die klassischen Tugenden einer Krankenschwester, Demut, Gehorsam, Bescheidenheit, vergebens suchte. Doch mittlerweile war er anscheinend zur Einsicht gekommen, dass sie dennoch eine gute Krankenschwester war, die mit den Patienten umzugehen verstand.
    Adela winkte – ein Zeichen, dass sie die Arznei aus dem Medikamentenschrank holen sollte. Victoria leistete ihr nur allzu bereitwillig Folge. Jedes Mal, wenn sie ein Mittel aus dem Schrank nahm, ließ sie ein weiteres heimlich mitgehen, um es später an Arme zu verteilen. Trotz der knappen Freizeit ließ sie es sich nicht nehmen, regelmäßig die Elendsviertel aufzusuchen, um sich dort um die Menschen zu kümmern. Nicht nur Altruismus trieb sie dorthin – auch die Hoffnung, Jiacinto damit beeindrucken zu können und ihre Freundschaft zu Rebeca zu stärken. Die interessierte sich allerdings weit weniger für die Armen in den Elendsvierteln als für das Geld, das Victoria ihr regelmäßig gab. Ihrerseits bekam sie es von Valentina, die, wenn auch nicht die Apotheke, so doch das Bargeld, das Arthur und Emilia Hoffmann hinterlassen hatten, für sie verwaltete und manchmal zwar skeptisch dreinblickte, aber nie nachfragte, wozu sie das Erbe ihrer Eltern ausgab.
    Rebeca bedankte sich zwar, verhielt sich aber dennoch oft distanziert, und Jiacinto …
    Victorias Augen brannten plötzlich – und das nicht nur, weil sie zu wenig geschlafen hatte, sondern auch, weil ihr wie so oft Tränen aufstiegen, wenn sie an Jiacinto dachte.
    Seit jener ersten Nacht verzehrte sie sich nach ihm. Sie hätte so gerne noch einmal mit ihm geschlafen! Bei diesem nächsten Mal, so schwor sie sich, wäre es gewiss schöner und entspannter, sie könnte es mehr genießen, jeden Augenblick auskosten.
    Doch Jiacinto behandelte sie ein wenig so wie Rebeca: freundlich, wenn er etwas brauchte, spöttisch, wenn sie sich an Diskussionen beteiligte, distanziert, wenn ihm gerade etwas anderes wichtiger war – und das war es meist.
    Sie tat alles, um ihn zu beeindrucken, las anarchistische Schriften, bis sie sie auswendig konnte, frisierte ihr Haar nicht mehr so streng, zog einmal sogar Hosen an. All das brachte ihr bestenfalls ein knappes Kompliment ein, mehr nicht.
    Das Schlimmste war, dass sie niemandem ihr Herz ausschütten konnte. Valentina gegenüber wäre es ihr undenkbar erschienen, einzugestehen, dass sie, die überzeugte Feministin, ihr Glück von einem Mann abhängig machte, und Aurelia … nun, Aurelia war seit vielen Monaten verheiratet, und sie hatte sie in all der Zeit nicht gesehen. Von Valentina, die Aurelia zweimal besucht hatte, hatte sie erst erfahren, dass sie von der Hochzeitsreise nach Europa zurückgekehrt war, und dann, dass sie ein Kind erwartete.
    »Dann ist das Glück ja vollkommen!«, hatte sie gelästert und in diesem Augenblick nicht gewusst, warum ihre Stimme so giftig klang: aus gerechter Empörung, weil Aurelia ihre Familie und ihr Talent verleugnete, oder schlichtweg aus Neid, weil der Mann, den sie liebte, diese Gefühle erwiderte.
    Ein lautes Husten riss sie aus den Gedanken. Sie fuhr herum und sah eine Frau auf sich zukommen, blass, ausgezehrt, mit einem kleinen Kind an ihrer Seite, das vor nicht langer Zeit an Pocken gelitten hatte. Das las Victoria von den Narben ab, die sein Gesicht entstellten – und die es sein Leben lang behalten würde. Immerhin hatte es überlebt, während viele

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