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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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fühlte sie sich einsam, streichelte über ihren runden Bauch und versuchte, sich mit aller Macht einzureden, dass es keinen Grund gab, unglücklich zu sein. Ich habe den Mann, den ich liebe, ich muss mir keine Sorgen um die Zukunft machen, ich bekomme ein Kind von ihm … es ist alles gut.
    Einmal war nicht alles gut: Im Jahr 1910 wurden diverse Feste anlässlich von Chiles Unabhängigkeit von Spanien gefeiert, die es vor hundert Jahren erlangt hatte. In sämtlichen Kirchen der Stadt wurden Gottesdienste abgehalten, auf die festliche Umzüge folgten, im Kongress hielten berühmte Männer Reden, und öffentliche Gebäude, die man eigens für diesen Zweck erbaut hatte, wurden eingeweiht – darunter das Museo de Bellas Artes, dem die Escuela de Bellas Artes angeschlossen war und der nunmehr zu den größten Museen Chiles zählte. Als Aurelia an Tiagos Seite das Gebäude betrat, dessen unmittelbare Nachbarschaft ihr so vertraut war, und sie die vielen Gemälde sah, wurde ihr das Herz schwer. Sie war gekleidet wie eine Königin, und mittlerweile hatte sie sich daran gewöhnt, all diesen schweren Schmuck zu tragen. Ihr entgingen überdies die bewundernden Blicke nicht, die sie trafen, und sie machten sie auch ein wenig stolz, war sie sich ihrer Schönheit doch bewusst.
    Und dennoch … dennoch, sie hatte nie eine Königin sein wollen. Sie hatte nie für ihre Schönheit bewundert werden wollen. Sie hatte immer nur … eine große Malerin werden wollen, und hier in diesen Räumen wurde ihr schmerzlich vor Augen geführt, was sie aufgegeben hatte. So viele Worte lagen ihr auf den Lippen, um den Kummer zu benennen, ihn mit Tiago zu teilen und ihn dadurch leichter zu machen, doch sie brachte keins hervor und wagte nicht einmal, Tiago in die Augen zu sehen und gleichen Schmerz zu erahnen.
    Irgendwann war der schreckliche Abend vorüber, und sie verkroch sich die nächsten Tage freiwillig und ganz ohne Alicias Mahnungen in ihr Bett. Als sie nach einer Woche wieder aufstand, blieb sie zwar weiterhin von Schwangerschaftsbeschwerden befreit, aber sie war deutlich gereizter. Vor Tiago, William und Alicia beherrschte sie sich – die Dienstmädchen fuhr sie jedoch oft ungeduldig an und beschimpfte sie wegen Kleinigkeiten. Später tat es ihr leid, sich entschuldigen konnte sie trotzdem nicht, wäre dies doch ein Beweis gewesen, dass sie ihrer Rolle nicht gerecht wurde.
    Ein einziges Mal nur verlor sie auch Alicia gegenüber die Beherrschung – und bereute es später tief. Begleitete sie diese anfangs noch widerstandslos zu den Gottesdiensten in der Basílica de la Merced oder zum Gebet in der Iglesia San Francisco, wo der Statue der Virgen del Socorro, die Pedro de Valdivia seinerzeit persönlich aus Italien mitgebracht hatte, besondere Kräfte nachgesagt wurde – setzten ihr im Lauf der Schwangerschaft der durchdringende Weihrauchgeruch und die dunklen, beängstigenden Räume immer mehr zu.
    »Ich habe genug von diesem grässlichen Gestank!«, platzte es aus ihr heraus. So leicht sie sich dem neuen Leben angepasst hatte – in Sachen Religion wollte ihr das einfach nicht gelingen. In ihrer Kindheit hatte es, was diese betraf, keine Regeln und Vorgaben gegeben. Sie war vom Missionar Don Andrea über die Grundzüge des Christentums belehrt worden und mochte dessen Geschichten. Aber genauso gerne saß sie beim Tehuelche Maril auf dem Schoß, der ihr von Futa Untru, dem großen Geist der Pampa, erzählte, und sie war ebenso oft Zeugin geworden, wie die Russin Ana behauptete, es könne keinen Gott geben, so schlecht, wie die Welt oft sei, und wenn es einen gebe, müsste er ziemlich bösartig sein, und es ergebe keinen Sinn, zu ihm zu beten.
    Ja, in Patagonien hatte ein jeder gesagt, was er dachte – und dieses eine Mal tat sie das auch.
    Alicia sah sie befremdet an, und Aurelia war prompt verlegen.
    »Es tut mir leid«, sagte sie rasch, »ich habe es nicht so gemeint.«
    Zu ihrem Erstaunen ging Alicia nicht weiter darauf ein, und Aurelia kam zum Schluss, dass ihrer Schwiegermutter, so religiös sie sich auch gab, echtes Sendungsbewusstsein offenbar fehlte. Am nächsten Sonntag pochte sie zwar wieder darauf, dass Aurelia sie zur Messe begleitete, aber ob diese es aus vollem Herzen tat oder nur widerwillig, war ihr gleichgültig. Vielleicht hätte sie es insgeheim sogar bevorzugt, dass sie sich überwinden musste – weil es zum Leben einer Dame nun mal dazugehörte, Opfer zu bringen, zu gehorchen und Unabänderliches

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