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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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wusste, woran er dachte: an alles, was er aufgegeben hatte. Der Museumsbesuch hatte es ihm schmerzlich in Erinnerung gerufen.
    Bis jetzt hatten sie nie über ihre Entscheidung gesprochen, dass sie wie er die Malerei aufgegeben hatte. Und er hatte nie gefragt, warum sie nicht länger ihren Skizzenblock bei sich trug. Nun stand das Unausgesprochene wie eine Wand zwischen ihnen.
    Mir geht es doch wie dir!, hätte sie am liebsten gerufen. Meine Hände fühlen sich oft leer an ohne meinen Skizzenblock! Gerade jetzt auf Reisen sehe ich so viel, was ich gerne festhalten würde! Ich verzichte aus Liebe zu dir darauf – und dafür machst du mir nun Vorwürfe? Und warum nimmst du mein Opfer einfach hin – ohne Dank, aber auch ohne Widerspruch? Warum verlangst du nicht, dass wenigstens ich unseren Traum leben soll?
    Sie sagte jedoch nichts, war vielmehr entsetzt, dass sich zu den Gefühlen von Schmerz und Ohnmacht plötzlich Wut gesellte. Wut auf ihn. Wut auf sich.
    Beides war unerträglich.
    Sie kniff die Lippen zusammen und hob ihre Hand, um über seine Wangen zu streicheln. »Wir müssen in keine Museen mehr gehen«, sagte sie schnell.
    Tiago wich ihrem Blick aus. Kurz, ganz kurz hoffte sie, dass er aussprach, was sie nicht über die Lippen brachte, dass er die heimliche Wut mit ihr teilte – auf ein Schicksal, das sie in diese Situation gebracht hatte, auf das Unvermögen, beständiger der eigenen Leidenschaft zu folgen. Doch als er endlich wieder in ihre Augen sehen konnte, war sein Gesicht ausdruckslos. »Du brauchst noch mehr neue Kleider«, sagte er. »Und in keiner Stadt der Welt werden schönere geschneidert als hier in Paris.«
    Fortan verbrachten sie viel Zeit in den berühmten Pariser Hutsalons wie Reboux, Labbé oder Alphonsine. Aurelia bekam Abendroben von Martial et Armand, Jeanne Paquin oder Jacques Doucet. In den Modeabteilungen von Letzterem führten Angestellte die Modelle vor, und als Aurelia sie zum ersten Mal sah, fragte sie verwundert, ob die Sterne, die an ihren Kleidern festgesteckt waren, etwa ein neumodisches Accessoire wären.
    Tiago lachte: »Nein, die Sterne kennzeichnen die Kleidergrößen – und der gelbe Stern entspricht dem Idealmaß.«
    Aurelia war über ihre Unwissenheit beschämt und schwor sich, alles über Mode zu lernen, was es zu wissen gab. Sie begriff, dass die reichen Damen allein schon darum so viele Kleider brauchten, weil sie sich mehrmals am Tag umzogen, und auch, dass man der Funktion der einzelnen Ausstattungen gerne französische Namen gab: Robes de jour hießen die Tageskleider, Robes de ville die Ausgehkleider und Robes d’opéra die festlichen Abendkleider.
    So schwer es ihr fiel, sich an das stete Tragen des Mieders zu gewöhnen, trug sie die edlen Kleider mit Lust: die Dinnerroben mit Fransenvolant und Schleppe, die Nachthemden aus Seide oder Musselin, die Tageskleider, die so tief dekolletiert waren, dass man im Ausschnitt das kostbare Unterkleid sah – aus Seide und hellem Voile –, über das man am liebsten Tüll mit schwarzer Spitze trug. Am Rocksaum sorgten aufgenähte Jettperlen für den erwünschten geraden Fall.
    Zu den Kleidern gesellten sich Pelzstolen, Muffe und winzig kleine Theaterhüte mit Spitzen-, Silber- und Goldborten oder paillettiertem Tüll oder nicht selten auch mit Federn von Paradiesvögeln geschmückt. Gleich drei Sonnenschirme besaß sie – mit Griffen in Form von Tieren aus Kristall, Onyx oder Rosenquarz und einer Schlinge aus Seidenschnüren, die es erlaubte, den Schirm um das Handgelenk zu tragen –, und sie lernte auf Schuhen zu gehen, die vorne spitz waren und einen etwa fünf Zentimeter hohen geschwungenen Absatz besaßen.
    Weiterhin rieb sie ihr Gesicht jeden Abend mit Zitronenwasser und jeden Morgen mit Eau de Gardénias ab, ehe sie danach Talkpuder und etwas Rouge auftrug.
    Immer wieder erklärte Tiago, wie schön sie sei. Immer wieder antwortete sie darauf, wie glücklich sie sei.

    Andrés war nicht sicher, woher sein Vater all seine Informationen bezog – in jedem Fall schien er stets früher als der Rest der Welt zu erfahren, was sich in Santiagos Oberschicht zutrug, so auch, dass Aurelia und Tiago von ihrer Hochzeitsreise zurückgekehrt waren. Noch am Tag der Ankunft drängte er ihn zu einem Freundschaftsbesuch.
    »Es ist wichtiger als je zuvor!«, hatte er gerufen. »Tiago ist nunmehr Williams einziger Erbe! Wenn er es eines Tages tatsächlich antritt und wenn du bis dahin sein engster Freund bleibst – dann

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