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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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auf ihn.
    Die Splitter, die sich in seine Seele gebohrt hatten, taten nicht mehr so weh. Der Hass war nicht mehr so unerträglich. Er brüllte, wie er seit Jahren nicht mehr gebrüllt hatte, und übertönte damit Aurelias Stimme, die verzweifelt versuchte, ihn von der Gewalttat abzubringen. Nur eine andere Stimme übertönte er nicht.
    Nüchtern und kalt brachte sie ihn zum Erstarren.
    »Sag, bist du wahnsinnig geworden?«, fragte William Brown.

    Es ist alles meine Schuld, ging es Aurelia wieder und wieder durch den Kopf, es ist alles meine Schuld.
    Sie wusste nicht, was ihr von alldem am unangenehmsten war. Dass sich Andrés blutüberströmt und wankend erhob und nach Tiagos Schlägen kaum einen geraden Schritt gehen konnte. Dass William – so verärgert wie noch nie – fragte, was dieses proletarische Benehmen bedeute. Dass Tiago nicht länger wütend war, sondern angesichts des zornigen Vaters zerknirscht, wie ein kleiner Junge nach Worten rang, aber keines hervorbrachte.
    Aurelia eilte an seine Seite und drückte ermutigend seine Hand, doch er schien sie gar nicht zu bemerken – zu groß war das Entsetzen über das völlige Fehlen seiner Selbstbeherrschung, und dass ausgerechnet sein Vater dies miterlebt hatte.
    »Also«, forderte William, »was hat das zu bedeuten?«
    Tiagos Lippen rieben aufeinander. »Er hat Aurelia beleidigt«, brachte er schließlich hervor, »er ist ihr zu nahe getreten …«
    Aurelia senkte den Kopf, als Williams Blick sie traf. Sie ahnte, dass es die Sache nicht besser machte, dass ihr Name gefallen war. Zu allem Überdruss hörte Andrés nicht auf zu bluten, spuckte vielmehr Blut – ein Zeichen, dass er sich unter Tiagos Schlägen in die Zunge gebissen hatte. Er bot einen erbarmungswürdigen Anblick.
    »Was hast du in all den Jahren gelernt?«, fuhr William auf. »Scheinbar nichts, wenn du dich wie ein Tagelöhner prügelst! Gibt es irgendetwas, wozu du taugst?«
    Aurelia hätte am liebsten laut gesagt, was sie fortwährend dachte: dass es doch ihre Schuld sei, nicht Tiagos. Aber sie konnte es nicht ertragen, Williams Blick erneut auf sich zu ziehen. Auch Andrés hätte sie gerne geholfen, wie er da zur Tür taumelte, grußlos nach unten stolperte, aber auch das war nicht möglich, denn das hätte bedeutet, von Tiagos Seite weichen zu müssen.
    William folgte Andrés alsbald ohne ein weiteres Wort. Obwohl sie nun allein mit Tiago war, brachte sie immer noch nichts hervor.
    Tiago hingegen ließ ihre Hand los und ging unruhig auf und ab wie ein gefangenes Tier. Verzweifelt überlegte Aurelia, wie sie ihm erklären konnte, was zwischen ihr und Andrés geschehen war, aber dann erkannte sie, dass seine Gedanken nicht darum kreisten.
    »Es nützt nichts …«, presste er erstickt hervor. »Es ist nie gut genug, was ich tue … Auch Guillermo konnte seine Erwartungen nicht erfüllen, aber ich noch weniger. Ich habe mich ihm all die Jahre gefügt. Aber er hat mir nie gedankt, mich nie gelobt. Kein einziges Mal!«
    »Tiago …«
    »Was soll ich denn noch tun?«
    Er starrte sie verzweifelt an, und Aurelia fühlte sich zerrissen – vom eigenen Kummer und dem Mitleid mit Tiago. Ehe sie einem der Gefühle nachgab, entschied sie, besser nicht in dessen Tiefe zu wühlen.
    Sie atmete tief durch, ehe sie ganz nüchtern feststellte: »Vielleicht ist es ein Fehler, dass du immer nur das tust, was William von dir will.«
    »Soll ich mich ihm etwa widersetzen so wie früher?«
    »Nein, aber du verhältst dich wie ein Lehrjunge, der niemals eigene Entscheidungen trifft oder die Initiative ergreift. Gute Geschäftsmänner tun jedoch genau das – sie beschreiten neue Wege, gehen Risiken ein. Du musst aus seinem Schatten treten. Vielleicht ist es genau das, was er von dir erwartet.«
    Tiago ging weiterhin auf und ab, aber seine Schritte verlangsamten sich etwas. »Wie soll ich denn aus seinem Schatten treten? Hier in Santiago kennt ihn jeder, und ich bin für alle nichts weiter als sein Sohn.«
    Kurz überkam Aurelia die Ahnung, dass sie am eigentlichen Problem vorbeiredeten, aber sie gab ihr nicht nach. »Sieh doch.« Sie trat zu ihm und ergriff seine Hände. »Du hast studiert und bei so vielen Unternehmen gearbeitet, aber du hast Santiago nie verlassen. Die Niederlassungen deines Vaters überziehen jedoch das ganze Land. Vielleicht solltest du einmal dort arbeiten, wo du nicht unter seiner ständigen Beobachtung stehst, wo du allein bist und allein die Verantwortung trägst.«
    Die Idee kam

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