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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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ihr spontan, und während sie sie aussprach, befand sie sie für gut. Ja, Tiago musste weg von hier, weg von William, weg aus diesem Haus. Erst verspätet erkannte sie bestürzt, dass das auch bedeutete, dass er von ihr weggehen würde.
    Immerhin: Tiago schien beschwichtigt. Sein Blick war nachdenklich, nicht länger verzweifelt. »Der Norden …«, stieß er nach längerem Schweigen aus.
    »Was meinst du?«
    »Nun, den Norden Chiles … die Atacamawüste … Mein Vater hat viele Kredite an dortige Nitratunternehmen vergeben. Erst kürzlich habe ich mit einem Geschäftspartner über den Zinssatz diskutiert. Er ist sehr umstritten, weißt du, er liegt bei zehn Prozent im Jahr, und als weitere Sicherheit dienen die Produktionsanlagen der Schuldner. Wie auch immer. Mein Vater hat nicht nur in den Salpeterabbau investiert, sondern auch einige Kupferminen gekauft. Vor dreißig Jahren war das das ganz große Geschäft – heute werfen sie keinen Gewinn mehr ab.« Er sprach nun immer eifriger. »Soviel ich weiß, will er sie seit langem verkaufen, aber es ist schwierig, sie loszuwerden, zumal es wohl besser wäre, vor Ort zu sein, und mein Vater die Wüste hasst. Das hat er zumindest immer gesagt. Wenn es einen Ort gibt, um aus seinem Schatten zu treten, dann dort!«
    Er erwiderte Aurelias Händedruck.
    »Dann tu es!«, bestärkte sie ihn. »Schlag ihm das vor!«
    »Aber ich kann dich und Tino unmöglich in die Wüste mitnehmen.«
    »Ich weiß, aber das macht nichts«, sagte sie schnell, »es wird ja nicht für lange Zeit sein, nicht wahr? Und am wichtigsten ist doch, dass du dir endlich den Respekt deines Vaters verdienst.«
    Er umarmte sie und küsste sie, so fest, dass es fast schmerzte. Sie fühlte seine Liebe, sein Begehren, aber sie fühlte auch Verzweiflung – die gleiche Verzweiflung, die sie selbst überkam.
    Später sanken sie aufs Bett und liebten sich, und die Umarmungen fielen so wild, so ungezügelt aus wie der Kuss. Bis jetzt war Tiago stets ungemein zärtlich und liebevoll gewesen, nun tat es fast weh, wie er an ihren Haaren riss, ihre Haut knetete, stürmisch in sie drängte. Sie wehrte sich nicht dagegen, grub ihm vielmehr ihre Nägel in den Rücken, hörte ihn ächzen und schluchzte selber auf. Ja, es tat weh, aber es tat auch gut. Selten hatte sie so viel Trauer gefühlt, als sie bei ihm lag, selten jedoch auch so viel Lust, um vor der Trauer zu fliehen.
    Ihr Körper bäumte sich auf, als sie den Höhepunkt dieser Lust erlebte. »Ich liebe dich«, stieß sie aus.
    Sie meinte es aus tiefster Seele so, und doch war es ein klein wenig eine Lüge. Denn noch lieber hätte sie gesagt: »Lass mich nicht allein … Geh nicht fort von mir …«

    Andrés’ Wunden verheilten nur langsam, was daran lag, dass er sie nicht nur jeden Tag ausführlich betrachtete und mit Jodtinktur betupfte, sondern dass er die Kruste ständig wieder aufkratzte, bis Blut floss. Es brannte, und das gefiel ihm. Er war fasziniert vom menschlichen Körper – vor allem dann, wenn der nicht so funktionierte, wie er sollte. Er mochte Blut. Zwar behandelte er nur ungern Patienten, deren Leiden ihn kaltließen und deren Jammern ihm lästig war, aber er mochte es, unter der Haut der Toten, die alles Grässliche, Stinkende verbarg, zu wühlen, und er stellte sich oft vor, sich selbst zu verletzen und wie es wäre, stets weiterzubluten.
    Ramiro fragte kein einziges Mal, wie es ihm ging, fragte auch nicht, wie es überhaupt zum Streit mit Tiago gekommen war. Er zeigte nur kalte Verachtung, weil sein Plan vorerst gescheitert war – der Plan, Victorias Geschick zu nutzen, um sich bei Tiago und Aurelia einzuschmeicheln und ihnen den Floh von der Krankenhausstiftung ins Ohr zu setzen. Als schließlich die Krusten nicht aufbrachen, kein Blut mehr floss und die blauen Flecken erst grünlich, dann durchsichtig wurden, forderte Ramiro streng: »Du musst dich bei Tiago entschuldigen.«
    Andrés’ Trotz war diesmal größer als die Angst vor seinem Vater. »Er hat mich halb totgeprügelt, nicht umgekehrt.«
    »Aber du hast ihn provoziert. Und selbst wenn nicht – er ist Tiago Brown y Alvarados.« Er sprach den Namen wie den einer Gottheit aus, befand Andrés, und sein Trotz wuchs.
    »Und deswegen müssen wir also buckeln?«
    Es gefiel ihm, dass im Gesicht des Vaters nicht nur Strenge und Ärger zu lesen waren, sondern auch Verzweiflung. »Verstehst du es denn immer noch nicht? Die Freundschaft mit Tiago ist deine Eintrittskarte in die bessere

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