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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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einen hungrigen Geist – während die Gespräche im Club diesen aushöhlten.
    Als er ihn endlich verlassen konnte – noch vor dem Vater, der mit einem seiner Geschäftspartner unter vier Augen sprechen wollte –, fühlte er sich jedoch nicht sonderlich besser. Am liebsten hätte er sich geweigert, aus der Droschke auszusteigen und das dunkle Haus seiner Familie zu betreten, in dem es ebenso gesittet wie im Club zuging – und ebenso langweilig, ebenso leblos und ebenso lähmend. Der Widerwille entsetzte ihn. Dort drinnen warteten doch Aurelia und Tino, sein geliebter Sohn!
    Er unterdrückte das Unbehagen, löste sich aus der Starre und setzte ein Lächeln auf. Als er die Treppe hochlief, fielen seine Schritte sogar schwungvoll aus. Die Last, die er stets auf seinen Schultern trug – bei Aurelia und Tino konnte er sie kurz ablegen, konnte sich ganz dem glücklichen Familienleben hingeben, konnte sich vor Augen halten, wofür er das alles tat.
    Sein Lächeln wurde breiter, erstarb jedoch, als er Andrés’ Stimme hörte. Der Freund, der ihn in den letzten Monaten oft so lauernd anstarrte, war ihm oft lästig, und gerade heute konnte er gut und gerne auf seine Gegenwart verzichten. Noch irritierender war, dass er sich offenbar in Aurelias Gemach aufhielt, ein völlig unpassender Ort, männlichen Besuch zu empfangen.
    Die Tür war nur angelehnt, Tiago stieß sie auf – und erstarrte: Nicht nur, dass Andrés sich in diesem Raum aufhielt, obendrein saß er ganz dicht bei Aurelia, hielt ihre Hand, und ihre Augen waren gerötet, als hätte sie geweint.
    Andrés hatte ihn nicht kommen gehört, sondern sprach eifrig auf Aurelia ein. »Du musst mir nichts vormachen. Ich weiß, dass Tiago dich nicht glücklich macht.«
    Aurelia wollte von ihm abrücken, aber Andrés hielt ihre Hand fest. »Es ist besser, du gehst jetzt«, murmelte sie mit deutlichem Unbehagen.
    Aber Andrés ging nicht. »Glaub nicht, dass ich Schadenfreude empfinde, weil du unglücklich bist. Im Gegenteil. Es tut mir unendlich leid, zusehen zu müssen, wie du verkümmerst, wie wir im Grunde alle verkümmern. Weil wir alle nicht das tun, was wir eigentlich wollen.«
    Tiago schien es, als würde eine gleißende Flamme seinen Kopf zerspringen lassen – und die vielen kleinen Splitter bohrten sich allesamt in seine Seele.
    Andrés hatte recht, ging ihm auf. Aurelia war nicht glücklich. Er, Tiago, konnte sie nicht glücklich machen. Weil er es selbst nicht war.
    Dass der Freund die Wahrheit so offen benannte, war nicht das Schlimmste. Noch unerträglicher war, ihn mit Aurelia so vertraut zu erleben. Wann hatten sie beide das letzte Mal so beisammengesessen und sich anvertraut, was sie dachten? Wann hatte Aurelia das letzte Mal in seiner Gegenwart geweint? Vor allem aber: Wann hatte sie ihn gefragt, wie es ihm ging, wie er sein Studium empfand, wie er mit dem Druck des Vaters zurechtkam, mit dem Verzicht auf die Malerei? Nun gut, er konnte ihr das nicht vorwerfen, er hatte ja auch sie nie gefragt, er wollte es gar nicht wissen, aber nun …
    Alle aufgestauten Gefühle brachen sich ihre Bahn, Wut, schlechtes Gewissen, Beschämung, Ohnmacht, Hilflosigkeit.
    Am liebsten hätte er Aurelia gepackt, sie an sich gezogen und immer wieder geschrien: »Ich will, dass wir glücklich sind! Wir müssen doch glücklich sein!«
    Stattdessen wurde er blind für sie, sah nur Andrés und wurde von Hass überwältigt. Er stürzte auf ihn zu, wie er es schon einmal vor Jahren getan hatte, als er die beiden erwischt hatte, beschimpfte ihn aufs unflätigste, benutzte Worte, wie nur das Pack der Straße sie kannte, und ergriff ihn schließlich am Kragen. Dann schlug er zu … schlug blindwütig, brutal auf ihn ein, ehe er überhaupt wusste, was er tat.
    Wie damals kam sein Angriff so überraschend, dass Andrés sich nicht wehrte, nicht einmal schützend seine Hände hob. Tiagos Fäuste trafen seine Haut und ließen sie aufplatzen, ohne dass ihm ein Schmerzenslaut über die Lippen kam. Aurelia schrie an seiner statt entsetzt auf, aber Tiago hörte es kaum. Der Schrei schien von unendlich weit her zu kommen, er mäßigte ihn nicht, im Gegenteil. Selbst als er Andrés schließlich losließ und der blutend zu Boden stürzte, konnte er nicht von ihm ablassen. »Du Hurensohn!«, schimpfte er eins ums andere Mal. »Du Ausgeburt der Hölle, du Dreckskerl! Du Bastard!« Er spuckte auf ihn, ließ wieder seine Fäuste spielen, begnügte sich nicht damit, sondern trat mit den Füßen

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