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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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lernen.
    Aurelia hatte es stets abgelehnt, weil sie sich nicht vorstellen konnte, mit ihren schönen Kleidern und der perfekten Frisur über den Rasen zu hetzen, nur jetzt, da sie auf ihr Spiegelbild starrte, dachte sie, dass die schönste Kleidung und die perfekteste Frisur nichts halfen, solange ihre Augen so traurig blickten, fast wie tot. In diesem Moment wäre sie gerne über einen Rasen gelaufen, nicht um mit einem lächerlichen Schläger einen Ball zu treffen, sondern um sich zu vergewissern, dass sie noch rennen konnte.
    Seufzend trat sie vom Spiegel zurück, jäh von dieser Trauer eingeholt, die sie oft überkam und deren Grund sie nicht benennen konnte. Manchmal schob sie es darauf, dass sie sich so sehnsüchtig ein zweites Kind wünschte, aber auch anderthalb Jahre nach Tinos Geburt noch nicht schwanger war, dann wieder darauf, dass sie Tiago so selten allein für sich hatte. Und nichts konnte sie der Trauer entgegensetzen. Oft blieb sie ein dünner Schleier, der sich grau über die Welt senkte. Manches Mal glich sie einem schwarzen Raum, der sie unwiderstehlich anzog, obwohl sie wusste, dass dahinter Verderben lauerte. Doch so dunkel der Raum auch war – diese Dunkelheit war besser zu ertragen als das, was er womöglich verbarg und gleißendes Licht zutage fördern würde.
    Ehe sie sich ganz und gar der Schwermut hingab, ertönte ein Klopfen.
    »Sie haben Besuch«, schnatterte ein Hausmädchen, das die Tür nur einen Spaltbreit öffnete. So war es hier üblich: Das Personal musste sich irgendwie verständlich machen, sollte aber möglichst unsichtbar bleiben. »Es ist Doktor Andrés Espinoza«, fügte das Mädchen hinzu.
    Aurelia war verwirrt. Sie konnte sich gar nicht mehr an den Anlass erinnern, wann sie Tiagos Freund zuletzt gesehen hatte, und in all den Jahren hatte sie nie mit ihm allein gesprochen. Noch bevor sie dem Mädchen sagen konnte, dass es dem Gast im Salon eine Erfrischung servieren möge und sie gleich hinunterkomme, wurde die Tür aufgestoßen. Das Mädchen wich ängstlich zurück, während Andrés kurz vor der Schwelle verharrte und dann entschlossen darübertrat.
    Aurelia betrachtete ihn irritiert. Andrés war stets darum bemüht gewesen, nicht auch nur den geringsten Verdacht zu erwecken, er würde ihr wieder zu nahe treten! Dass er nun einfach in ihr Zimmer kam, war anmaßend! Und noch befremdender fand sie, dass ein seltenes Leuchten in seinem Blick lag, das sie als Triumphgefühl deutete.
    »Andrés …«
    »Ich muss mit dir sprechen, es ist wichtig.«
    Hilflos deutete Aurelia auf die samtbezogenen Stühle, die um ein Tischchen standen. Ein Teller mit kandierten Früchten befand sich darauf, und Aurelia schickte das Mädchen hinaus, um frischen Tee zu holen.
    »Was kann es sein, das du mit mir besprechen willst und nicht mit Tiago?«, fragte sie und versuchte, ihrer Stimme einen beiläufigen Klang zu geben, als wäre es nicht ungewöhnlich, dass er nun ihr gegenüber Platz nahm.
    »Nun, es geht um Victoria … und diese ist doch deine Freundin, nicht seine.«
    Aurelia spürte einen Stich im Herzen, als sie diesen Namen hörte – zum ersten Mal seit Monaten. »Ich habe sie seit Tinos Geburt nicht mehr gesehen …«, erklärte sie steif.
    Damals hatten Alicia und sie allen verschwiegen, dass Victoria das Kind auf die Welt gebracht hatte. Aurelia hatte ihr zwar später einen kurzen Dankesbrief geschrieben, aber darauf nie eine Antwort erhalten.
    »Dennoch wird es dir doch nicht gleichgültig sein, was aus ihr wird?«, fragte Andrés lauernd.
    »Natürlich nicht!«, rief sie hastig.
    Nur weil sie nicht über sie gesprochen hatte, hieß es nicht, dass sie nicht oft an die einstige Freundin dachte und sich an den Tag erinnerte, da sie mit der Eisenbahn in Santiago angekommen waren, dieses neue Leben sie durchaus verängstigt hatte, aber vor allem so verheißungsvoll viele Möglichkeiten geborgen hatte – auch die, eine große Künstlerin zu werden.
    Die Streitigkeiten mit Victoria verdrängte sie so gut wie möglich, doch nicht immer konnte sie sich der eindringlichen Stimme taub stellen, die ihr da – auch nach all den Jahren noch – zuflüsterte, sie male besser als Tiago und dürfe für ihn ihre besondere Gabe nicht opfern.
    »Was ist mit Victoria?«, fragte sie bang.
    »Ich fürchte, sie ist in Schwierigkeiten geraten … in große Schwierigkeiten. Aber ich könnte ihr helfen, wenn du mich darum bittest. Ich könnte bei meinem Vater ein gutes Wort für sie einlegen …

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