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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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mangelhaft.«
    »Dagegen kannst du auch nichts ausrichten. Du bist kein Arzt.«
    »Ich nicht, aber Salvador Cortes.«
    »Und wer wiederum ist Salvador Cortes?«
    Victoria deutete auf die aufgeschlagene Zeitung. »Ein Arzt, der eine Annonce aufgegeben hat. Er sucht eine ausgebildete Hebamme, denn er behandelt auch Frauen von Minenarbeitern und Indianern. Nun, ich bin keine Hebamme, und meine Ausbildung als Krankenschwester wurde offiziell nicht beendet, und ich werde wohl nie mehr die Möglichkeit haben, die große Abschlussprüfung abzulegen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sich viele Frauen auf diese Anzeige hin melden. Wahrscheinlich hat Salvador Cortes großes Glück, wenn ich es tue.«
    Sie erhob sich, straffte die Schultern und fuhr sich prüfend über ihren Haarknoten.
    »Du verlässt Santiago. Du gehst einfach …«, stellte Pepe fest, als wäre es das größte Wunder, das er je erlebte, und zugleich eine schreckliche Strafe für sie.
    »Ja, ich gehe«, sagte Victoria, »aber zuvor werde ich Aurelia einen Brief schreiben. Ich … ich will mich nicht von ihr verabschieden. Aber falls sie jemals nach mir fragt, dann gebt ihr diesen Brief.«
    Pepe nickte gedankenverloren, und plötzlich tat Victoria etwas, was sie noch nie getan hatte. Einer jähen Eingebung folgend, ging sie zu ihm, strich ihm über den Kopf und drückte sich kurz an den dicklichen Leib. Erst versteifte er sich, dann erwiderte er die Umarmung. An seinem roten Gesicht merkte sie, dass ihm diese Nähe gefiel – und kurz fühlte sie seine große, tiefe Sehnsucht, er möge mehr davon bekommen.
    Doch anstatt dieser Sehnsucht nachzugeben, machte sie ihm dann doch zu große Angst, und er löste sich abrupt von ihr.
    »Mama wird es nicht gefallen, dass du in den Norden gehst«, stellte er fest. Ehrliches Bedauern klang durch seine Stimme hindurch, aber zugleich diebische Schadenfreude.
    Er wusste: Valentina würde Victoria ziehen lassen müssen – anders als ihn. Und er wusste auch: Victoria würde es schaffen, zu gehen und sich anderswo ein Leben aufzubauen – anders als er.

Drittes Buch:
Die Farben der Einsamkeit
    1912
    21. Kapitel
    A uf der Reise in die Atacamawüste begleiteten Victoria die Erinnerungen an den Tag, da sie mit Aurelia nach Santiago gefahren war. So verheißungsvoll war der Aufbruch in ein neues Leben damals gewesen. Sie war nicht alleine und davon überzeugt gewesen, ihr Schicksal in der Hand zu haben – und sie war zum ersten Mal Jiacinto begegnet.
    Heute fühlte sie die gleiche Entschlossenheit, aber nicht die gleiche Hoffnung. Lethargisch ertrug sie den Staub und die Hitze und nahm hin, dass die Eisenbahn – alsbald nur mehr einspurig – immer wieder von Hindernissen auf den Gleisen aufgehalten wurde. Bis zu dreißig Stunden sei man unterwegs, wenn man in den Norden wolle, hatte sie gehört – bei ihr wurden zwei Tage daraus.
    Zunächst verhieß es noch eine angenehme Abwechslung, aus dem Fenster zu sehen und die üppigen Weingärten oder Getreide-, Alfalfa- und Marvillafelder vorbeirauschen zu sehen, die im warmen Wind wogten. Doch alsbald verloren sich das saftige Grün und das satte Gelbgold, wurden die großen, mächtigen Bäume immer trockener und gekrümmter, wichen fruchtbare Felder karger Steppenlandschaft.
    Erst jetzt bekam Victoria einen Eindruck von dem, was sie erwartete. Bislang hatte sie von der Atacamawüste nicht sonderlich mehr gewusst, als dass es dort unerträglich heiß war, dass es die trockenste Wüste der Welt war, in der in manchen Gebieten seit Menschengedenken kein Regen mehr gefallen war und in anderen nur alle paar Jahre, und dass sie riesengroß war: Sie erstreckte sich vom Río Loa im Norden bis zum Río Copiapó im Süden.
    In drei Regionen war das Wüstengebiet unterteilt: Die nördlichste hieß Tarapacá und hatte Iquique als Hauptstadt, dann folgte Antofagasta, deren Zentrum den gleichen Namen trug, und schließlich die Region Atacama. Die beiden nördlichen Regionen nannte man Pampa Salitrera, weil sich dort die großen Lager- und Abbaustätten des wertvollen Rohstoffs befanden. Die Praxis von Doktor Salvador Cortes befand sich in unmittelbarer Nähe einer solchen Mine, ein paar Stunden von Antofagasta entfernt.
    Victoria hatte erstmals die Muße, sich ihr künftiges Leben genauer auszumalen, aber sie konnte sich keine konkrete Vorstellung davon machen. Sie wusste nicht einmal, ob sie dort überhaupt willkommen war.
    Ursprünglich hatte sie geplant, mit einem Brief auf

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