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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Doktor Cortes’ Anzeige zu antworten, aber dann hatte sie erfahren, dass es zwar nur acht Tage dauerte, um einen Brief in den Gran Norte zu befördern, bis zu drei Monate aber, um eine Antwort von dort zu erhalten. So lange konnte sie unmöglich warten, und so hatte sie einfach darauf gesetzt, dass niemand außer ihr großes Interesse haben würde, im unwirtlichen Norden zu arbeiten, dass sie folglich als Einzige auf die Annonce reagieren würde und dass sie Cortes, auch wenn sie unangekündigt eintraf, schon willkommen wäre.
    Hoffentlich ist das nicht der größte Fehler gewesen, den ich je gemacht habe, dachte sie am Anfang bang. Doch die drückende Hitze und die anstrengende Fahrt machten sie so müde, dass die quälenden Gedanken verstummten.
    Die übrigen Passagiere waren fast ausschließlich Männer, doch auch sie waren von der Gluthitze wie gelähmt. Kaum einer warf ihr aufdringliche Blicke zu, niemand sprach sie an oder belästigte sie. Vielleicht lag es weniger an der Hitze, sondern an ihrer Unnahbarkeit: Sie trug ihre Haare wie immer streng frisiert, und das Kleid war trotz der hohen Temperaturen schwarz. Mehr als einmal hätte sie zwar gern den engen Kragen gelockert, aber sie verkniff es sich.
    Die feiner gekleideten Herrschaften stiegen in den reichen Hafenstädten aus – die Arbeiter blieben sitzen, als sie von dort Richtung Osten fuhren, wo auf die Küste eine riesige Ebene folge, die nicht nur reich an Salpeter und Guano, Kupfer und Silber, sondern von gewaltigen Salzseen bedeckt war. Ihre krustigen Oberflächen glitzerten in der Sonne manchmal weiß wie Schnee und so grell, dass man die Augen schließen musste; dann wiederum nahmen sie die graue Farbe der Wüste an oder das schmutzige Braun der umliegenden Berge.
    Die Böden zwischen den Andenkordilleren, deren Spitzen man im Dunst häufig nur erahnen konnte, und dem Pazifik schienen völlig leblos. Auf den ersten Blick gab es in dieser Welt keinerlei Farben, nur Weiß und Grau; erst mit fortschreitender Zeit erkannte Victoria, dass das Land nicht so tot war, wie es den Eindruck machte, dass die Sonne und der grenzenlos anmutende Himmel sich vielmehr im unterschiedlichen Kleid zeigten und die Landschaft ihre Farben spiegelten – am Morgen ein sanftes Rosa, am Abend ein durchdringendes Violett. Anfangs hatte das Rütteln des Zuges sie wach gehalten, nun nickte Victoria immer wieder ein. Wenn sie aufschreckte, schienen sie kaum weitergekommen zu sein – Wüste blieb Wüste. Nur einmal kamen sie an einer Oase vorbei, wo dicht gedrängt Feigenbäume wuchsen, und schließlich nahm der Zug wieder den Weg zur Küste, wo sie die letzte Stadt auf ihrer Reise passierten – Antofagasta mit seiner Steilküste aus Muschelkalk, an der Tausende von Pelikanen brüteten.
    Nun würde es nicht mehr lange dauern, bis sie ihr Ziel erreichte. Sie stieg in einen anderen, kleineren Zug um, der unmittelbar in einer Salitrera halten würde, genauer genommen an einem der »Schiffe«, wie die Barackensiedlungen der Arbeiter um die Mine bezeichnet wurden.
    Victoria schlief ein letztes Mal ein. Als sie die Augen wieder aufschlug, hatte die Sonne den höchsten Stand erreicht, und der Zug verlangsamte sein Tempo. Sie hatte nicht erwartet, dass es noch heißer sein könnte als im Zug, doch als sich die Türen öffneten und sie ins Freie wankte, traf die Hitze sie wie ein Schlag. Hastig hockte sie sich auf den Boden, um nicht ohnmächtig zu werden, und riss nun doch ungeduldig den Kragen ihres Kleides auf. Als sie sich wieder aufrichtete, brach ihr neuer Schweiß aus, aber der Bahnhof flimmerte nicht mehr vor ihren Augen. Sie schützte die Augen vor der Sonne, umklammerte ihre Tasche fester und trat auf den Bahnwärter zu, der mit stoischem Gesicht den Zug hatte einfahren lassen und nun ein Zeichen zur Weiterreise gab.
    Falls er erstaunt war, unter all den Männern, die hier ausgestiegen waren, eine Frau zu sehen, zeigte er es nicht.
    »Ich suche Doktor Salvador Cortes!«, erklärte sie forsch. Als sie näher trat, sah sie, dass sein Blick nicht einfach nur ausdruckslos, sondern leer war. Sein Kiefer mahlte – vielleicht gehörte er zu jenen, die die Hitze und Einsamkeit der Wüste nur ertrugen, indem sie Koka kauten. Sie erhoffte sich schon keine Antwort mehr, als er plötzlich eine bräunliche Masse ausspuckte – wohl eher gewöhnlicher Kautabak als Koka – und gleichgültig murmelte:
    »Salvador Cortes ist immer dort, wo Menschen sterben. Und da hier so viele

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