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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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sterben, findet man ihn eigentlich überall.«

    Noch mehrmals wiederholte sie ihre Frage nach Cortes, als sie durch das »Schiff« ging. Sie wusste von den ärmlichen Lebensverhältnissen der Arbeiter und war dennoch erschüttert, als sie diese Reihen an winzigen Hütten abschritt, die eher Ställen für Tiere als Unterkünften für Menschen glichen. Im Innenhof gab es einen entsetzlich stinkenden Abort, einen Brunnen und Waschplätze für die Kleidung, doch Letztere sahen nicht so aus, als würden sie oft benutzt werden. Überhaupt wirkte der Ort nun zur Mittagszeit verwaist. Nur dann und wann wurde ein Kopf aus einer der winzigen Luken gesteckt und sie neugierig gemustert. Doch keiner kam heraus, vielleicht, um der prallen Sonne zu entgehen, vielleicht, weil eine Frau wie sie sich als Sinnestäuschung entpuppen könnte.
    Victoria hielt den Kopf gesenkt. Früher hatte sie keine Scheu gehabt, Männer forsch anzusprechen und ihren Anzüglichkeiten zu trotzen, doch seit dem Vorfall im Gefängnis hockte tief in ihrem Inneren eine Angst. Noch größer war allerdings die Sorge, Salvador Cortes nicht zu finden, denn auch wenn jeder, den sie fragte, ihn kannte, wusste niemand, wo er sich gerade aufhielt.
    Schließlich begegnete sie der ersten Frau in der Barackensiedlung – sie war ein altes Weiblein mit einem Gesicht, das so runzelig wie die vertrocknete Rinde der wenigen Bäume hierzulande war, saß vor einem Loch, das sie in die Erde gegraben hatte, und schaufelte irgendetwas hinein, was Victoria, als sie näher trat, als Fleisch und Gemüse erkannte. Offenbar nutzte sie die Hitze des Bodens, die mit der eines jeden Feuerherds mithalten konnte, um Essen zu garen. Vielleicht war sie so etwas wie die Köchin des »Schiffs«.
    »Ich suche Doktor Cortes«, sagte Victoria wieder.
    Die Antwort kam erst nach Ewigkeiten. »Immer den Schreien nach«, murmelte das Weiblein.
    Victoria lauschte angestrengt, vernahm aber nur dumpfe Erschütterungen von der nahen Mine.
    »Ach so«, erklärte die Frau, »mittlerweile ist sie zu schwach zum Schreien. Gehen Sie einfach zu den Hütten der Puppen.«
    Victoria wusste zwar, dass Puppen – las muñecas  – die Bezeichnung für Prostituierte war, hatte jedoch keine Ahnung, wo diese hier lebten. Schließlich deutete die Frau in eine Richtung, und als sie weiterging, vernahm sie ein unterdrücktes Stöhnen. Vor einer Hütte, die sich nicht von den Baracken der Arbeiter unterschied, standen mehrere leicht bekleidete Frauen und tuschelten miteinander. Ein paar blickten mitleidig, ein paar gleichgültig. Als Victoria näher trat, wurde sie wortlos gemustert. Keine machte Anstalten zu fragen, was sie hier wollte, oder verwehrte ihr den Eintritt, als sie sich an ihnen vorbeidrängte und die Hütte betrat.
    Sie hatte gedacht, es könne nicht noch heißer sein als unter der prallen Sonne, doch im Inneren brach ihr neuer Schweiß aus. Die Hütte glich einem Backofen, die Luft war zum Schneiden dick, und in der Dunkelheit sah sie nichts, sondern konnte nur schwarze, dicke Fliegen surren hören. Erst nach einer Weile gewöhnten sich die Augen an die Dunkelheit. Sie erkannte, dass die Fensterluken mit dickem rotem Stoff verhangen waren, der alles in ein dumpfes Rot tauchte. In der Mitte der Hütte stand ein Bett – nein, eigentlich nur eine armselige Pritsche –, und dort lag eine sich windende Frau. Ein Mann stand vor ihr, offenbar Doktor Cortes, und machte sich zwischen ihren Beinen zu schaffen. Er hatte sein Hemd wohlweislich bis zu den Ellbogen hochgekrempelt und war bis dahin über und über mit Blut befleckt.
    Keiner der beiden bemerkte sie, und so hatte sie Zeit, sich genauer umzusehen. Neben der Pritsche bestand die Einrichtung aus einigen leeren Dynamitkisten, die wohl aus der Mine stammten und als Regale, Kommoden oder Nachttische dienten. Alles war von einer dicken Schicht aus Staub und Sand bedeckt.
    Victoria räusperte sich laut, aber immer noch bemerkte sie niemand. Da entschied sie nicht länger zu warten, öffnete ihren Koffer und zog etwas heraus. Damit trat sie zur Pritsche und reichte es dem Arzt.
    Salvador Cortes drehte sich kurz um und musterte sie von Kopf bis Fuß. »Was ist das?«, fragte er knapp – sonst nichts: nicht, wer sie war, noch, was sie hier machte.
    »Eine Tamponade aus Scharpie. Bestens zur Blutstillung geeignet. Leider habe ich kein styptisches Pulver dabei.«
    Cortes ergriff die Tamponade wortlos. Nun, da sie dicht neben ihm stand, konnte sie auch ihn

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