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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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wahr?«
    Schließlich nickte eine der Frauen widerwillig und bot an, die Nachtwache zu übernehmen.
    Victoria war unterdessen zum Brunnen getreten und hatte Wasser geschöpft, um sich die blutigen Hände zu waschen. Cortes stellte sich neben sie und tauchte die seinen, ohne zu zögern, in den gleichen Eimer. Kurz berührten sich ihre Finger, doch er tat, als würde er es nicht bemerken.
    Nachdem er seine Hände kräftig geschüttelt hatte, deutete er ihr mit einem Kopfnicken an, ihm zu folgen. Erst jetzt, als er ein paar Schritte ging, erkannte sie, dass er stark humpelte.
    Sie fragte zwar nicht nach, aber er schien ihren Blick bemerkt zu haben, denn er erklärte bereitwillig: »Ich habe eine Kugel im Bein. Sie stammt noch von Iquique.«
    »Sie waren bei dem Aufstand dabei?«, fragte Victoria überrascht.
    »Du weißt darüber Bescheid?«, gab er zurück und hob die Augenbraue.
    »Natürlich!«, rief sie. »Es war 1907: Damals gab es einen Generalstreik – in Santiago, in Valparaíso, in Concepción und den Kohleminen von Loca. Und eben auch in Iquique. Die Minenarbeiter haben gegen ihre Arbeitsbedingungen protestiert, doch der Staat hat den Aufruhr gnadenlos unterdrückt. In der Escuela Santa María kam es zu einem blutigen Massaker.«
    Empörung über die damaligen Ereignisse klang durch ihre Stimme – aber auch Befriedigung, dass sie davon wusste und Cortes beweisen konnte, dass sie kein naives Mädchen aus der Großstadt war, das vom Norden keine Ahnung hatte.
    Er nickte. »Sie haben mit Maschinengewehren auf die Versammelten geschossen. Als ich Verwundete versorgen wollte, traf’s auch mich. Aber was soll’s. Lieber humpelnd durchs Leben gehen, als ohne Schmerzen im Grab liegen. Eines Tages werde ich daran sterben, das fühle ich, denn man konnte die Kugel nicht entfernen, und sie vergiftet meinen Körper. Aber jeder wird sterben, der eine morgen, der andere in zehn Jahren.« Er zuckte die Schultern, humpelte dann weiter.
    Victoria hastete ihm nach.
    »Wo … wo wohnen Sie eigentlich, Doktor Cortes?«
    Er drehte sich zu ihr um und musterte sie flüchtig. »Den Doktor lässt du weg, Mädchen, und das ›Sie‹ auch. Hier gibt’s keinen, der sich um so etwas schert.«
    Sie nickte.
    »Also gut«, fuhr er fort, »ich kann zwei helfende Hände gebrauchen, darum habe ich auch die Annonce aufgegeben, obwohl ich nicht damit gerechnet habe, dass sich jemand darauf meldet. Hier leben vor allem Männer, aber eben auch ein paar Frauen, die meisten nicht Gattinnen, sondern Huren. Schamgefühle haben sie trotzdem – einige lassen sich lieber von anderen Frauen behandeln als von mir, und deswegen brauche ich eine wie dich. Ich kann dir nicht viel zahlen, weil ich selbst nicht viel verdiene. Die meisten entlohnen mich mit Essen, andere mit Hilfeleistungen, viele gar nicht, und ein paar wenige mit Geld. Ich bin bereit, dieses Geld mit dir zu teilen, aber wie viel es pro Monat ist, das kann ich dir nicht prophezeien.«
    »Mir geht es nicht ums Geld!«, erklärte Victoria hastig. »Ich will bloß meine Arbeit tun und Kranken helfen. Ansonsten brauche ich etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf.«
    »Das kriegst du beides bei mir.«
    Er drehte sich um, humpelte weiter, und sie folgte ihm auf einen schmalen Weg, der vom »Schiff« auf ein kleines Häuschen zuführte. Es war aus Adobe errichtet, luftgetrockneten Ziegeln aus Lehm und Sand. Ein Teil des Dachs war mit Stroh bedeckt, ein anderer mit Zink. Auf der Vorderfront stand das Dach weit über die Mauern und wurde von schmalen Holzsäulen gestützt. Daneben befand sich eine kleine Hütte, ihrer weißen Farbe nach zu schließen aus dem Liparita erbaut, einem weichen Vulkangestein, aus dem sich auch Heiligenfiguren schlagen ließen. Offenbar diente es als eine Art Vorratskammer.
    Nicht weit von Cortes’ Wohnhaus stand eine Kirche – ein schlichtes, einschiffiges Gebäude mit einem Turm, dessen Stein ob Wind und Sonne zu bröckeln begonnen hatte.
    Cortes war ihrem Blick gefolgt. »Die Kirchen hier im Norden stammen noch aus der Zeit, als die Spanier nach Chile kamen und es eroberten«, erklärte er schlicht. Ob hier noch Gottesdienst gefeiert wurde, ja, ob nicht nur ein Arzt, sondern auch ein Priester in der Siedlung lebte, sagte er nicht.
    »Vorhin sagten Sie … sagtest du zu der Frau, dass man die Kranke in der Nacht vielleicht zudecken würde. Wird es denn so kalt?«, fragte Victoria. Nun, da Schweiß ihr in Strömen von der Stirn perlte, konnte sie sich das gar

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