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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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nicht vorstellen.
    »Ja, das wird es«, antwortete Cortes. »Im Frühling und Sommer ist das ganz angenehm. Aber im Winter wird es oft unerträglich kalt, manchmal so kalt, dass man die Särge der Toten ausgräbt, um Holz zum Brennen zu haben. Das Leben hier ist ungemein hart. Es gibt auch kein fließendes Wasser oder eine Kanalisation.«
    Victoria zuckte die Schultern, als könnte sie mühelos darauf verzichten, obwohl sie sich insgeheim nicht so sicher war, wie sehr ihr tatsächlich die Annehmlichkeiten der Großstadt fehlen würden. »Seit wann lebst du hier?«, fragte sie, um nicht darauf einzugehen.
    »Als junger Mann war ich im Pazifikkrieg. Was ich dort erlebt habe, war grauenhaft. Es gab kaum Ärzte, die sich um die Verwundeten kümmerten, vor allem keine Chirurgen. So viele Soldaten starben nicht auf dem Schlachtfeld, sondern unbeachtet in den notdürftig eingerichteten Lazaretten. Damals entschloss ich mich, Arzt zu werden – und auf einem Fleckchen Erde zu arbeiten, wo es sonst keine Mediziner hinzieht.«
    Victoria rechnete nach. Der Pazifikkrieg war an die dreißig Jahre her – wenn Cortes damals ein junger Mann gewesen war, so musste er jetzt um die fünfzig Jahre alt sein.
    Sie wollte noch weitere Fragen stellen, aber da hatten sie das Haus bereits erreicht. Cortes öffnete die Tür und ließ Victoria als Erste eintreten. Nach dem grellen Sonnenlicht konnte sie im trüben Inneren zunächst kaum etwas sehen, doch mit der Zeit gewöhnten sich die Augen an das wenige Licht, und sie blickte sich um.
    Das Gebäude war innen mit Kakteenholz verkleidet, das anstelle von Nägeln oder Holzdübeln mit Lederriemen aneinandergehalten wurde. Vor den kleinen Fensterluken waren die Balken geschlossen worden, um zu vermeiden, dass sich die Hitze staute. Die Einrichtung war schlicht: Es gab einen niedrigen, ungehobelten Tisch, einige Stühle, Feldbetten und zwei schlichte Truhen. An der hinteren Hauswand hingen an Nägeln Töpfe und Pfannen aus Kupfer und Eisen, gleich daneben stand ein niedriger, steinerner Herd, an dem sich zwei Mädchen zu schaffen machten. Als Victoria eingetreten war, drehten sie sich um und musterten sie neugierig. Sie mussten an die zehn Jahre alt sein und sahen sich mit ihrem schwarzen, glatten Haar, den dunklen Augen und der olivfarbenen Haut zum Verwechseln ähnlich.
    »Das sind Clarabel und Teodora, meine Töchter«, erklärte Salvador. »Ansonsten lebt hier niemand. Wir haben einen Esel, um Einkäufe zu machen, und außerdem ein Lama, weil sich der Esel manchmal als störrisch erweist und keinen Schritt gehen will.«
    Eine der Zwillingsschwestern, Clarabel, trat auf sie zu und fragte neugierig: »Wie heißt du?«
    »Victoria … Victoria Hoffmann.«
    »Sie kommt aus Santiago«, fügte Salvador hinzu, »und sie wird vorerst bei uns leben. Wie lange, weiß ich nicht, so wie wir nie wissen, was morgen kommt.«
    Während Clarabel sie weiterhin neugierig anstarrte und sogar ein Lächeln wagte, hatte sich Teodora wieder dem Herd zugewandt und befahl schließlich streng: »So hilf mir doch, Clara!«
    Auch wenn sie sich zum Verwechseln ähnlich sahen – ihr Wesen schien sich zu unterscheiden. Teodora war die Tonangebende, Clarabel die Aufgeschlossenere, Neugierige.
    Victoria trat zum Herd und beugte sich über die Töpfe. In dem einen verrührte Teodora gerade gebratene Zwiebel mit Grieß, Cocho und Salz, in dem anderen wurde San Martín zubereitet – ein Brei aus geröstetem Mehl, Fett, Salz, Oregano mit Bratensaft. Im dritten köchelte Cazuela, eine kräftige Brühe mit Rindfleisch, Kartoffeln, Maiskolben, grünen Bohnen und Petersilie.
    »Wir kochen nur einmal am Tag, dann aber reichlich«, erklärte Salvador.
    Victoria spürte, wie ihr der Magen vor Hunger knurrte.
    »Kann ich euch helfen?«, fragte sie.
    »Wir schaffen das alleine«, antwortete Teodora scharf. »Deck du den Tisch, Clara.«
    Victoria musste lächeln. Obwohl sie noch ein Kind war, gefiel sich Teodora offenbar als Herrin des Hauses – eine Rolle, die sie sich nicht streitig machen lassen wollte.
    »Dora«, ermahnte Salvador sie, »sei nicht so abweisend.«
    Teodora runzelte die Stirn, aber gab schließlich nach. »Also gut«, erklärte sie gnädig, »du kannst Wasser holen.«
    Victoria nickte. Als sie hinausgehen wollte, trat Salvador ihr in den Weg: »Hier hilft jeder mit, keinem ist eine Arbeit zu schade, und man tut, was man tun muss. Ich hoffe, so siehst du es auch.«
    »Ja«, sagte Victoria schlicht, »so sehe ich

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