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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Santiago gab es diese Kluft zwischen Arm und Reich, aber in der Großstadt waren die Viertel voneinander getrennt, während hier die Elenden und Wohlhabenden dicht beisammenlebten, so dass er ständig darüber nachdenken musste, ob er nun wollte oder nicht, und sich so falsch in einer Welt fühlte, die so viel Ungerechtigkeit atmete.
    Und vor allem fühlte er sich falsch in einer Welt, in der es keine Aurelia gab …
    Er seufzte abermals und schrieb dann entschlossen weiter. »Manchmal bin ich auch am Meer, aber dort muss man achtgeben. Die Seelöwen und die gefräßigen Pelikane können einem Spaziergänger schon mal gefährlich werden. Die Ebene aus Sand, auf der Iquique gebaut wurde, ist sehr schmal – gleich dahinter erhebt sich die mächtige Felswand, wo tonnenweise Guano gesammelt wird, Vogelmist, den man teuer als Dünger verkaufen kann.«
    Die Feder kratzte über das Papier. Ich vermisse dich so sehr, wollte er schreiben, ich liebe dich, ich brauche dich, vielleicht war es ein Fehler, hierherzukommen. Doch er unterdrückte diesen Drang und schrieb stattdessen: »Ich hoffe, Dir und Tino geht es gut. Grüß meine Eltern und sage ihnen, dass ich guten Mutes bin, bald die Geschäfte abzuschließen, deretwegen ich hier bin. Dein Dich liebender Tiago.«
    Er blickte starr auf die Zeilen, bis sie ihm vor den Augen verschwammen. Warum fiel es ihm so schwer, ihr seine wahren Gefühle zu verraten? Weil er sich selbst kein Zeichen von Schwäche zugestehen wollte? Oder weil er befürchtete, sie sonst traurig zu machen?
    Wann, überlegte er weiter, hatte es begonnen, dass sie sich mehr verschwiegen als anvertrauten, stets vorsichtig überlegten, was man dem anderen zumuten konnte und was nicht?
    Wie oft war er kurz davor gewesen, zu sagen: »Ich bin mir nicht sicher, ob du noch glücklich bist. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich es bin.« Und herausgekommen war doch nur ein Satz über das Wetter, über die Oper oder über einen Zeitungsartikel.
    Ein Klopfen riss ihn aus den Gedanken, und er schob hastig den Brief beiseite, um sich zu erheben.
    »Herein!«
    Nathaniel Foster stieß die Tür wie immer so heftig auf, dass sie rumpelnd gegen die Wand stieß. Er war ein amerikanischer Geschäftsmann, mit dem Tiago nun schon seit einigen Tagen Gespräche führte.
    »Können wir aufbrechen?«, fragte er, von der Hitze zwar gerötet, aber nicht weiter beeinträchtigt. Wie immer schüttelte er Tiago die Hand, und wie immer fiel sein Händedruck so fest aus, dass Tiago meinte, er würde ihm gleich die Finger brechen. Und wie immer roch Nathaniel Foster nach Whisky, den er wie Wasser trank.
    »Schade, dass wir nicht mit dem Auto fahren können, nicht wahr, Jacob?«, fuhr er fort, »Aber hier im Norden lebt man ja jenseits der Zivilisation, wie sollte es so etwas Banales wie Straßen geben!«
    Er lachte dröhnend. Seit Tagen nannte er ihn nun schon beharrlich Jacob statt Tiago, verriet doch sein Nachname, dass er der Sohn eines englischen Geschäftsmannes war. Tiago hatte ihn mehrfach hingewiesen, dass dies, ungeachtet der Herkunft seines Vaters, nicht sein richtiger Name sei, er vielmehr in Chile geboren worden wäre, doch Mr. Foster hatte sämtliche Einwände ignoriert. Nachdem er einige Zeit mit ihm verbracht hatte, erkannte Tiago, dass ihn nicht allein Ignoranz trieb, sondern die Überzeugung, dass von Wert nur war, wer einen englischen Namen trug – wobei, genau genommen, ein Bürger der USA weit über einem Briten anzusetzen war. Obwohl bereit, mit Tiago Geschäfte zu machen, dachte er wohl insgeheim, dass weder Engländer, Franzosen noch Deutsche hier etwas zu suchen hätten – und erst recht keine Chilenen. Die taugten bestenfalls als Arbeiter und Vermittler, aber ihr Reichtum stünde – genauso wie jener der andern südamerikanischen Länder – den USA zu.
    Tiago widerte diese arrogante Haltung an, diese Großmäuligkeit, diese dreiste Zurschaustellung von Reichtum. Allerdings hatte er bald herausgefunden, dass er sich all das für seine Zwecke zunutze machen konnte.
    »Also gut, brechen wir auf«, rief er begeisterter, als ihm zumute war. »Schließlich liegt eine ordentliche Wegstrecke vor uns.«
    Sie waren Stunden unterwegs – zuerst mit dem Zug Richtung Antofagasta im Süden, von dort mit Pferden und von einem Einheimischen geführt Richtung Landesinnere. Tiago war nun schon einige Male in der Wüste gewesen und hatte jedes Mal gedacht, an der Hitze zu ersticken, doch heute vertrieb die angespannte

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