Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
Vom Netzwerk:
es auch.«
    Sie war sich nicht sicher, ob er wirklich lächelte, aber sie glaubte zu sehen, wie sich seine Lippen unter dem Schnurrbart wohlwollend nach oben verzogen.
    Als sie ins Freie trat, folgte Clarabel ihr. Erst zeigte sie ihr den Brunnen, dann fragte sie aufgeregt: »Erzählst du mir von Santiago?«
    Als Victoria den Namen der Stadt hörte, stiegen übermächtig Erinnerungen an all das auf, was geschehen war. Angesichts der vielen neuen Eindrücke und der Hitze, die den Geist erschlaffen ließ, hatte sie kurz davor fliehen können – nun sah sie sie plötzlich wieder vor sich: die Gesichter von Jiacinto und Rebeca und Espinoza.
    Sie rieb die Lippen aufeinander, zwang sich dann jedoch zu einem Lächeln. »Aber natürlich«, sagte sie.
    Während sie den Eimer in die Tiefe ließ, wusste sie plötzlich: Sie würde ihren Erinnerungen hier nicht entfliehen können, doch sie taten in dieser kargen Einöde nicht ganz so weh wie im lebhaften Santiago.

22. Kapitel
    T iago saß in seinem Hotel in Iquique, versuchte trotz der unerträglichen Hitze, seine Gedanken zu sammeln und sich auf seinen Brief an Aurelia zu konzentrieren. Er schrieb ihr täglich, obwohl das Leben hier höchst eintönig war und es immer nur dasselbe zu berichten gab.
    »Gestern war ich erneut bei einer Aufführung im Teatro Municipal«, schrieb er, »in Santiago hätte man die Sänger ausgebuht, so schlecht, wie sie waren, aber hier gab es viel Applaus. Man erfreut sich an allem, was ablenkt und unterhält, ungeachtet, wie schräg es klingt.«
    Er zog die Feder zurück. Eigentlich wollte er schreiben, wie sehr er sie vermisste, aber er unterließ es. Seit nunmehr einem Monat hielt er sich hier im Norden auf und war von seiner Frau getrennt – da wollte er es ihr und sich selbst nicht schwerer machen. Stattdessen erwähnte er den Club Español, wo sich die Männer trafen, um Zigarren zu rauchen, Whisky zu trinken oder Karten zu spielen. Was er nicht schrieb, war, dass er auf nichts von alldem sonderlich Lust hatte, sich lediglich zwang, dorthin zu gehen, um Kontakte zu knüpfen. Er erhoffte sich Informationen über andere Geschäftsmänner – doch selbst wenn genug Whisky geflossen war, sprachen die meisten nicht darüber, wie sie ihr Geld verdienten, sondern wie sie es in Bordellen wieder ausgaben.
    Angewidert verzog Tiago das Gesicht. Er war schon von so vielen Geschäftsleuten dazu aufgefordert worden, mitzukommen und sich ebenfalls zu amüsieren. Obwohl er sich beharrlich weigerte, musste er hinterher detaillierte Schilderungen ertragen, so dass er nach all den Wochen das Gefühl hatte, er wäre selbst schon tausendfach in diesen Etablissements gewesen, nicht in denen für die Seeleute, die als dreckig und gefährlich galten, weil man sich die Syphilis holte, sondern in den – von diesen klar unterschiedenen – Bordellen der Minenbesitzer und Händler, die vor rotem Samt überquollen, die keine Kakerlaken beherbergten und in denen es eine besondere Attraktion war, zwei Mädchen ganz unterschiedlichen Aussehens miteinander anzubieten: blonde deutsche Mädchen mit Türkinnen oder Japanerinnen mit ein paar Schwarzen aus Afrika.
    Manchmal war Tiago tagsüber auf der Straße diesen exotischen Frauen begegnet, die im grellen Sonnenlicht keine Sinnlichkeit ausstrahlten, nur müde wirkten und tote Augen hatten, und er hatte sich gefragt, welches Vergnügen es wohl verheißen konnte, ihnen beizuliegen. Unmöglich, dass man bei verlorenen Seelen wie ihnen dem Gefühl von Einsamkeit entrinnen würde, das ihn Tag und Nacht quälte!
    Er senkte die Feder wieder auf das Papier. »Ich habe den Eindruck, dass es noch heißer wird. Nur unter den hochgewachsenen Palmen der Plaza Prat findet man Schatten. In der Mitte der Plaza steht übrigens ein Uhrturm, der jeden Abend von den gleichen schwarzen Geiern umkreist wird – ein sehr merkwürdiger Anblick, der einem die Zeit jedoch genauso deutlich verrät wie der Blick aufs Ziffernblatt. Ebenfalls Abkühlung verschafft es, abends auf der Veranda des Hotels zu sitzen – sie ist überdacht, was hier keine Selbstverständlichkeit ist.«
    Wieder schrieb er nicht alles, was er dachte, so, dass Holz in dieser Gegend ein Luxusgut war und jedes Brett importiert werden musste. Die Reichen scheuten keine Kosten und Mühen, bauten prächtige Anwesen, an denen allerdings bald der scharfe Seewind fraß, und zeigten sich blind für das Elend der Armen, die in Wellblechhütten vegetierten. Tiago seufzte. Auch in

Weitere Kostenlose Bücher