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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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jetzt ein Schläfchen machen, und zuvor werde ich ihn baden.«
    Saqui wirkte irgendwie schadenfroh. Immer noch umwölkte Trauer ihren Blick, aber ihr Mund war zu einem dreisten Lächeln verzogen, als sie mit dem Kind den Raum verließ. Aurelia wollte ihr folgten, darauf bestehen, den Sohn zu halten, doch kaum hatte sie die Tür erreicht, stand plötzlich William vor ihr.
    Aurelia wich zurück.
    Sie hatte noch nie gesehen, dass er Alicias Gemach betrat – und er hatte sie noch nie direkt mit »Aurelia« angesprochen so wie jetzt. Aurelia sah, wie er seinen Blick kreisen lies, wie er bei den violetten Statuen hängenblieb und wie Widerwille die Stirn kräuselte.
    Sie wusste nicht, wovon dieser Widerwille rührte – von der Tatsache, dass er als nüchterner Protestant kein Verständnis für die Auswüchse des Katholizismus hatte. Oder weil diese der Beweis waren, dass seine Frau sich ihm nicht bis ins Letzte fügte.
    Aurelia wollte an ihm vorbeigehen, aber da wiederholte er ihren Namen und fügte hinzu: »Ich suche dich.«
    Sie war überrascht und konnte sich nicht erinnern, wann er jemals direkt mit ihr gesprochen hatte. Dies hatte er allerdings gar nicht vor – stattdessen nickte er Alicia zu, die an seiner statt das Wort ergriff.
    »Wir haben uns überlegt, dass es dir vielleicht guttut, das Haus für eine Weile zu verlassen. Hier wirst du ständig an den schrecklichen Verlust erinnert.«
    Aurelias Blick weitete sich. »Aber wohin soll ich denn gehen?«, fragte sie verwirrt.
    Gedankenverloren streichelte Alicia über eines der violetten Tücher. »Wir haben an unsere Hacienda gedacht.«
    Wie viele Angehörige seiner Schicht besaß William eigenen Grund und Boden außerhalb der Stadt. Im letzten Sommer hatten Aurelia und Tiago auf dem Rückweg von Viña del Mar zwei Wochen auf dieser Hacienda verbracht. Übermächtig wurden die Erinnerungen – an den durchdringenden Geruch von Magnolien und wie sie mit Tiago Hand in Hand an goldenen Feldern vorbeispaziert war. Die Hacienda war ein Ort gewesen, wo er für kurze Zeit nur ihr gehört hatte, ein Ort, der ihnen beiden gutgetan hatte.
    »Und Tino?«, fragte sie.
    »So einem kleinen Kind kann man diese Reise nicht zumuten. Er bleibt selbstverständlich hier. Aber du siehst ihn doch bald wieder. Einige Wochen werden sicher genügen, um Abstand zu gewinnen und dich etwas zu erholen.«
    Aurelia fühlte erneut Tränen hochsteigen, diesmal nicht aus Trauer, sondern aus Scham: Sie schämte sich, weil sie über die Aussicht, das düstere Haus und seine Bewohner zu verlassen, so erleichtert war. Schämte sich, weil sie dafür so bereitwillig das Opfer brachte, auf Tino zu verzichten. Schämte sich, weil sie nicht stark genug war, darauf zu pochen, ihn mitzunehmen.
    Aber sie wusste: Um jemals wieder für etwas kämpfen zu können, musste sie neue Kräfte sammeln.
    »Also«, erklärte William kühl, »du fährst?«
    »Ja«, antwortete sie tonlos. »Ich fahre.«

    Der Zustand ihres unbekannten Patienten verbesserte sich von Tag zu Tag: Hatte er anfangs noch Mühe gehabt, sich aus eigener Kraft aufzusetzen, konnte er bald aufstehen und einige Schritte gehen, ohne dass ihn Übelkeit und Schwindel in die Knie zwangen. Seine Kopfverletzung vernarbte, das blasse Gesicht gewann an Farbe, und die tiefen Furchen um den Mund schwanden dank Teodoras reichhaltigem Essen. Doch noch immer konnte er sich nicht daran erinnern, wer er war, obwohl er zunehmend verzweifelt und ohnmächtig um seine Erinnerungen kämpfte.
    Immer wieder fragte er, wo Victoria ihn gefunden hatte, doch alsbald konnte sie ihm nichts Neues mehr erzählen, und sie wusste auch nicht, wie sie ihn trösten sollte.
    Salvador versuchte anfangs, beide zu beruhigen. Schließlich waren erst zwei Wochen vergangen; nach einer solchen Verletzung musste nicht nur der Körper, sondern auch der Geist und die Seele heilen. Doch mit jedem weiteren Tag wuchsen sein Befremden und sein Mitleid.
    »Dass er sich nicht mehr an diesen Unfall erinnern kann, ist normal«, gab er schließlich zu. »Aber dass er nicht einmal mehr seinen Namen weiß …«
    »Hast du jemals von so etwas gehört?«
    »Man nennt diese Krankheit, glaube ich, Amnesia. Aber ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der in diesem Ausmaß darunter litt.«
    Salvador wusste nicht recht, wie man dem Unglücklichen am besten helfen konnte, trug Victoria aber schließlich auf, so viel Zeit wie möglich mit ihm zu verbringen, mit ihm zu reden, ihm viel zu erzählen und auch

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