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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Animita aufstellen lassen – ein kleiner Altar wäre das, der an Orten tragischer Todesfälle an die Verstorbenen erinnere.
    »Ich weiß«, fügte sie ausdruckslos hinzu, »die Kirche und der Staat lehnen dergleichen als Aberglauben ab. Aber man wird doch einer trauernden Mutter einen Herzenswunsch nicht verwehren?«
    Sie wirkte nicht wie eine trauernde Mutter. Unwillkürlich nahm Aurelia ihre Hand und drückte sie. Sie zu umarmen, wagte sie nicht.
    »Alicia … ich kann es nicht ertragen … wie schaffst du es so … gefasst zu sein.« Sie zögerte. »Ich meine, nachdem auch Guillermo …«
    Alicias Blick wurde leer. »Guillermo liegt in der Familiengruft«, erklärte sie so bestimmt, als genügte diese Tatsache, sie mit seinem frühen Tod zu versöhnen. »Ich war nicht dabei, als er dorthin gebracht wurde. Es ist nicht üblich, dass Frauen und Kinder an der Beerdigung teilnehmen. Aber an der Seelenmesse für Tiago werde ich teilnehmen. Der Sarg wird in der Kirche stehen …«
    Der leere Sarg, schoss es Aurelia durch den Kopf. Sie erschauderte, ließ Alicias Hand los und floh in ihr Gemach. Abgesehen von der Messfeier blieb sie tagelang im Bett, weinte, bis sie erschöpft war und einschlief, und wurde von neuen Tränen geweckt. Sie konnte nichts essen und zwang sich lediglich dazu, zu trinken, um nicht noch einmal ohnmächtig zu werden. Sie ahnte, dass William sie dafür verachtete, weil sie sich verkroch und Tränen vergoss, anstatt Haltung zu beweisen, aber sie hatte keine Kraft, ihm die Stirn zu bieten.
    Eines Tages, sie war sich nicht sicher, wie viel Zeit vergangen war, seit Andrés die Todesnachricht überbracht hatte, waren keine Tränen mehr übrig. Auf wackeligen Knien verließ sie ihr Zimmer. Das Haus wirkte wie ausgestorben. In den letzten Tagen hatte sie das Gemurmel von Kondolenzbesuchern gehört, aber mittlerweile waren alle, die Rang und Namen hatten, hier gewesen, um ihr Bedauern auszudrücken.
    Andrés, fragte sie sich, wo war er wohl, und was trieb er? Von allen war er derjenige, der am meisten erschüttert wirkte, der sich nicht hinter Nüchternheit verschanzte wie William oder hinter frommen Ritualen wie Alicia. Doch Andrés war nicht hier, und sie hatte auch nicht seinetwegen das Zimmer verlassen, sondern um Tinos willen … Tino, den sie sträflich vernachlässigt hatte. Der Kleine war sicher verstört über das merkwürdige Verhalten der Erwachsenen.
    Sie lief über den Flur und betrat sein Kinderzimmer, doch es war leer. Sein Bettchen wirkte verwaist, und bei seinem Anblick musste sie daran denken, wie sie nach der Geburt gewünscht hatte, seine Wiege möge bei ihr im Zimmer stehen. Alicia und Saqui hatten ihr eindringlich erklärt, dass dies bei Frauen ihres Standes nicht üblich sei – und Aurelia hatte nachgegeben, wenngleich sie halb sehnsüchtig, halb neidisch an ihre Mutter Rita gedacht hatte, die alle ihre Söhne zu sich ins Bett geholt und selbst gestillt hatte.
    »Du kannst ihn sehen, wann immer du willst«, hatte Tiago sie damals getröstet.
    Ach, Tiago, seufzte sie jetzt im Stillen.
    Schnell floh sie aus dem Zimmer und vor ihren Erinnerungen. Wie erwartet war Saqui mit dem Kleinen bei Alicia, und Aurelia sah diese zum ersten Mal seit Wochen nicht im Gebet oder Totengedenken versunken, sondern mit dem Kind auf dem Schoß. Der Blick war nicht ganz so leer, die Bewegungen waren nicht ganz so steif.
    Aurelia verharrte auf der Türschwelle und betrachtete Tino schweigend. Das Glück, ihn zu sehen, war überwältigend, aber gerade dieses Glück machte sie verletzlich. Sie spürte neue Tränen aufsteigen, doch ehe sie über ihre Wangen perlten, hatte Saqui sie entdeckt.
    »Der Kleine läuft endlich!«, rief sie stolz.
    Aurelia zwang sich zu einem Lächeln. Sie wollte zu ihm treten, ihn hochnehmen und auf den Boden setzen, aber Alicia machte keine Anstalten, ihn ihr zu geben.
    »Ich will sehen, wie er läuft …«, murmelte Aurelia.
    »Nein«, erwiderte Alicia ausdruckslos, »er muss sich jetzt ausruhen.«
    »Aber …«
    Saqui drängte sich an ihr vorbei, nahm Tino auf den Arm, und ihr verweigerte Alicia den Knaben nicht. Er juchzte freudig, als seine Nana ihn herzte, während er für Aurelia keinen Blick hatte.
    Ich bin für ihn eine Fremde, erkannte sie … Wochenlang habe ich nicht nach ihm gesehen, und zuvor … auch zuvor habe ich nur wenige Stunden am Tag mit ihm verbracht.
    Neue Tränen verschleierten ihren Blick.
    »Bitte!«, flehte sie. »Gib ihn mir!«
    »Er muss

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