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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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plötzlich aus. »Der Name, der mir vorhin eingefallen ist, aber den ich nicht aussprechen konnte … ich glaube, es ist ein englischer Name.«
    Victoria hielt den Atem an, als könnte eine zu plötzliche Bewegung seinen Gedankenfluss stoppen.
    Der Fremde wandte sich ab, ging ein paarmal hin und her, rieb sich wieder die Schläfen.
    »Ein englischer Name. Jacob … ich glaube, es war Jacob.«
    »Jacob …«, wiederholte sie.
    Erst blickte er sie zweifelnd an, nickte dann jedoch bekräftigend. »Vielleicht irre ich mich, aber da es der erste Name ist, der mir in den Sinn gekommen ist, werde ich so lange so heißen, bis mir ein besserer eingefallen ist.«
    »Also gut, Jacob«, sagte Victoria, »aber lass uns nun wieder zurückgehen. Du warst lang genug in der prallen Sonne, du solltest dich ausruhen.«

    In den nächsten Tagen behandelte Victoria an Salvadors Seite wieder andere Kranke, aber sie verbrachte dennoch viel Zeit mit dem Mann, den sie fortan alle Jacob riefen.
    Mehrmals ging sie mit ihm noch durch »Schiff« und Mine, aber bald kamen sie beide zum Schluss, dass dies eine fremde Welt für ihn war und er auf diese Weise seine Erinnerungen nicht wiederfinden würde. Stattdessen schlug Victoria nun kleine Ausflüge auf Mauleseln in die Wüste vor, zu den etwas höher gelegenen Grasebenen, den Salzseen, in denen die Flamingos ihre Nester aus Salz und Erde bauten, oder den Brutstätten von Gänsen, Enten und Blässhühnern.
    Manchmal begleitete sie Clara, die das Land viel besser kannte und jederzeit den Rückweg wusste – später vertraute Victoria auf ihre eigene Orientierung.
    Sie erzählte Jacob alles, was sie über die Wüste wusste, und er hörte ihr begierig zu, doch niemals blitzte in seinen Augen Erkenntnis auf.
    Einmal kamen sie ganz nahe an eine Gruppe Flamingos heran, doch kaum wollten sie danach fassen, schwebten sie majestätisch davon. »Siehst du«, sagte Jacob bitter, »genau so ist es mit meinen Erinnerungen. Ich kann ihnen ganz nahe kommen, aber wenn ich sie festhalten will, fliegen sie davon.«
    Victoria hatte Mitleid mit ihm – und war zugleich von seiner merkwürdigen Krankheit, der Amnesia, fasziniert. Anfangs stellte sie es sich als schrecklich vor, nicht mehr zu wissen, wer sie war – später suchte sie auch Vorteile darin zu finden. Gewiss, Jacob war verzweifelt, aber da er seine Vergangenheit nicht kannte, waren auch alle Gefühle, die ihn damals umgetrieben haben mussten, verschwunden. Vielleicht hatte er unendliches Leid erfahren – und wusste es nicht mehr. Und war dies nicht irgendwie auch erstrebenswert – diese Möglichkeit, alles Dunkle, Hässliche, Tragische abzustreifen wie am Abend die schmutzige Kleidung? Ohne die Trauer um ihre Eltern zu leben, das Liebesleid um Jiacinto, die Enttäuschung über Rebeca?
    Die letzten Wochen hatte sie wenig über ihr eigenes Leben nachgedacht – jetzt tat sie es, fühlte alten und neuen Schmerz hochsteigen, hielt ihm kaum stand und erkannte dennoch: Er gehörte zu ihr. Und auch wenn er unerträglich war – sie wollte nicht darauf verzichten. Er mochte ein Beweis sein, dass nicht immer alles wie erhofft verlaufen war, aber zugleich ein Beweis, dass sie lebendig war.
    Einmal wurden sie auf einer Hochebene unerwartet von einer kleinen Herde Vicuñas eingekreist, die wilde Bocksprünge vollführten. Weil Victoria sich angewohnt hatte, über alles und jedes zu reden, erzählte sie Jacob auch jetzt, was sie von den Tieren wusste: »Sie haben scharfe Zähne, mit denen sie das Gras nicht auszupfen, sondern abbeißen. Und ihre Wolle gehört zu der kostbarsten, die es gibt. Bei den Inkas durften nur Könige und Priester den Stoff tragen, der daraus gewebt wurde.«
    Wehmütig dachte sie an ihre geschäftstüchtige Mutter, die einst im Norden die Wolle verkauft hatte, die ihre Freundin Rita in Patagonien herstellte. Derart in Gedanken versunken, bemerkte sie nicht, dass Jacob ruckartig stehen blieb.
    »Diese Stoffe …«, murmelte er, »… sie werden doch gefärbt, nicht wahr? Und diese Farben … sie sind aus Erde gemacht.«
    Victoria musterte ihn gespannt. »Ich weiß leider nicht viel darüber. Meine einstige Freundin könnte dir alles über das Herstellen von Farben erzählen, aber ich …«, sie zuckte die Schultern, »… die meiste Wolle wird allerdings nicht hier im Norden produziert, sondern im Süden. In Patagonien.«
    Jacob zuckte zusammen. »Dort ist es windig«, sagte er unwillkürlich. »Ständig windig.«
    »Mein

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