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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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waren ihre Eltern unter den Toten – sie konnten es mir nie bestätigen. Es erging ihnen wie Jacob – der Schock hatte ihre Erinnerungen ausgelöscht. So dunkel, wie ihre Hautfarbe ist, könnte es sein, dass ihr Vater oder ihre Mutter zu den Indios gehörten, aber wie gesagt: Darüber werde ich nie letzte Gewissheit erlangen.«
    »Und du hast sie an Kindes statt aufgenommen?«, fragte sie. »Warum nur? Da du doch selbst verletzt worden bist und gewiss Zeit brauchtest, um wieder zu genesen!«
    Salvador ließ seine Pfeife sinken. »Es war niemand anderer da. Und die Mädchen haben mir geholfen, meine Wunde immer wieder neu zu verbinden.«
    Er sagte es, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, sich die Verantwortung für zwei Waisen aufzubürden, und Victoria dachte an den Satz, den er zu ihr gesagt hatte, als sie in Streit geraten waren: dass ihm Menschen lieber wären, die mit den Händen redeten, nicht mit dem Mund.
    Er hatte damals getan, was er tun musste – und er wollte weder viele Worte darüber verlieren noch sich bewundern lassen.
    »Es muss schlimm sein, auf so grausame Weise seine Eltern zu verlieren«, sagte Victoria erschaudernd. »Gut, dass die Mädchen wenigstens einander haben.«
    Salvador hob zweifelnd die Augenbrauen: »Dessen bin ich mir nicht immer sicher. Dem Aussehen nach gleichen sie sich wie ein Ei dem anderen – doch ihr Wesen unterscheidet sich. Dora ist härter, und meinem Gefühl nach beherrscht sie Clara zu sehr. Manchmal denke ich, dass es ihr guttäte, einmal aus dem Schatten der Schwester herauszutreten.«
    Er sprach ruhig und bestimmt, und Victoria ging plötzlich auf, dass Salvador nicht nur den menschlichen Körper in- und auswendig kannte, sondern ebenso viel von der Seele wusste. Vielleicht hatte er darum recht in dem, was er über sie und Jacob gesagt hatte. Zugleich aber – diese Erkenntnis stieg ihr auch in der Stille der Wüste ganz selbstverständlich hoch – waren es nicht nur Faszination und Mitleid, die sie an Jacob banden, nicht nur der inständige Wunsch, er möge seine Erinnerungen wiederfinden, weil dann auch sie selbst einmal mehr wüsste, wer sie war.
    Nein, eigentlich war ihr Trachten ein widersprüchliches. Nicht alles in ihr wollte, dass er seine Erinnerungen wiederfand. Denn solange er nicht wusste, wer er war – sie verspürte ein Kribbeln in ihrem Leib, als sie das dachte –, so lange würde er hier bei ihr bleiben.

25. Kapitel
    D as Leben, das Aurelia auf der Hacienda führte, hatte nichts mit den sonnigen, warmen Tagen gemein, die sie hier mit Tiago verbracht hatte. Am Abend ihrer Ankunft hauchte die untergehende Sonne noch ein blasses Rosa auf den Himmel – am nächsten Morgen war er von dicken, grauen Wolken verhangen. Es regnete pausenlos, und das stete Trommeln der Tropfen wurde vom Rauschen verstärkt, wenn der Wind durch die Bäume rund um das Herrenhaus fuhr: Lorbeerbäume und Riesenmagnolien, Eiben und Araukarien, Lärchen und Pappeln. Die Blätter wurden schwer vom Regen, die Äste schienen unter der Last zu ächzen.
    Der durchdringende Geruch der Bäume belebte Aurelia, aber zugleich warfen sie tiefe Schatten auf das Haus. Eine dunkle, nasse Wand war es, die da zwischen ihr und der restlichen Welt stand, doch vorerst machte diese aus ihrem neuen Aufenthaltsort kein Gefängnis, sondern eher ein Versteck, in dem sie sich gern verkroch. Ganz gleich, wie kalt und regnerisch es war – das Leben war angenehmer als im Haus der Familie Brown y Alvarados. Es gab niemanden, der auf sie achtete, tadelloses Benehmen einforderte und elegantes Auftreten, oder der vorschrieb, wie ihr Tag abzulaufen hatte. Sie war vielmehr ganz auf sich gestellt.
    Kaum einer wechselte ein Wort mit ihr: Hector Sedano, der Verwalter der Hacienda, hatte sie vom Zug abgeholt und sie im Namen aller Dienstboten begrüßt, war ihr aber seitdem aus dem Weg gegangen, offenbar darauf bedacht, die unsichtbare Grenze zwischen Herrschaften und Angestellten strikt zu wahren. Die Dienstboten, die im Haus ihre Arbeit verrichteten – langsamer und schlampiger als bei den Brown y Alvarados’, was Aurelia insgeheim gefiel –, schienen es ähnlich zu sehen: Sie senkten die Köpfe, wenn sie erschien, und brachten ihr all das, was sie verlangte, wortlos.
    Sie verkroch sich in ihr Gemach, wo es zugig war und dessen Holzboden unter jedem Schritt knirschte, bekam dorthin Frühstück, Mittag- und Abendessen serviert, aber niemanden zu sehen, der irgendwelche Forderungen an sie

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