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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Gott!«, stieß Victoria aus. »Kennst du das Land? Stammst du etwa von dort?«
    Er kniff die Augen zusammen, öffnete sie wieder. »Nein … nein, ich sehe die Landschaft nicht vor mir. Und ich spüre den Wind auch nicht. Aber ich weiß, dass er weht …«
    »Ach, Jacob …«, murmelte sie und wusste nicht, wie sie ihm helfen sollte.
    Er begann unruhig im Kreis zu gehen und schien auf eine weitere Erkenntnis zu stoßen, denn plötzlich begann er etwas zu murmeln:

»See the mountains kiss high heaven,
And the waves clasp one another;
No sister-flower would be forgiven
If it disdain’d its brother;
And the sunlight clasps the earth,
And the moonbeams kiss the sea –
What are all these kissings worth,
If thou kiss not me?«

    Er hob seinen Blick. »Das ist ein Gedicht, nicht wahr? Ich kenne es! Ich habe es irgendwann einmal lernen müssen! Ich weiß nicht, von wem es ist … aber es ist ein englisches Gedicht.«
    »Das denke ich auch …«
    »Und ich glaube, dass ich diese Sprache sprechen kann … fließend.«
    »Also bist du tatsächlich Engländer, wie dein vermeintlicher Name verrät. Oder Amerikaner.« Victorias Begeisterung wuchs, während Jacob sie erst fragend, dann verdattert anstarrte, als erwache er aus einem dunklen Traum.
    Victoria hoffte, dass ihm noch mehr einfallen würde, doch nachdem er weitere Male im Kreis gegangen war, zuckte er lediglich die Schultern.
    Sie trat zu ihm. »Das ist nicht viel«, sagte sie, »aber es ist auf jeden Fall ein Anfang.«
    Unwillkürlich umarmte sie ihn, und er wehrte sie nicht ab, sondern senkte seinen Kopf schwer auf ihre Schultern.

    Jacob war nach der Rückkehr von ihrem Ausflug müde und schlief bald – Victoria hingegen war aufgewühlt, ohne genau zu wissen, warum. Längst war die Sonne gesunken, hier in der Wüste als ein zum Greifen nah anmutender roter Ballen, der die ansonsten graue Welt mit verschiedensten Farben bemalte – mit kräftigen Ockertönen, leuchtendem Gelb und Rot, schließlich dunklem Blau.
    Sie erhob sich von ihrer Pritsche, ging unruhig auf und ab und fragte sich, warum es ihr so wichtig war, dass Jacob seine Erinnerung wiederfand, warum jeder kleine Schritt, der in sein altes Leben führte, sich für sie wie ein Triumph anfühlte. Gewiss, als Krankenschwester lag ihr an der vollkommenen Genesung ihrer Patienten – doch das hier war mehr als das.
    Die Hütte wurde ihr zu klein, sie wollte auch weder den schlafenden Jacob noch die Zwillinge aufwecken. Also trat sie nach draußen und war erstaunt, Salvador auf der Bank vor dem Haus vorzufinden. Bis jetzt war es ihr entgangen, dass es offenbar zu seinen Gewohnheiten zählte, am Ende des Tages hier zu sitzen und eine Pfeife zu rauchen. Der süße Geruch des Tabaks vermengte sich mit dem staubigen der Wüste.
    Er blickte nicht auf, schien dennoch zu wissen, dass sie es war, die herausgekommen war, nicht einer der Zwillinge.
    Er rückte ein wenig zur Seite. »Setz dich doch«, forderte er sie auf.
    Victoria zögerte erst, folgte seiner Einladung jedoch schließlich. Schon seit Wochen arbeitete sie Tag für Tag an seiner Seite, aber sie hatte noch nie neben ihm gesessen. Es war ungewohnt, dass sie beide nichts taten, aber zugleich angenehm, dass sie gemeinsam schweigen konnten. In Jacobs Gegenwart hatte sie immer das Gefühl, sie müsste ständig Erklärungen abgeben, Fragen stellen oder seine Wortfetzen in einen größeren Zusammenhang bringen, damit er seine Erinnerung wiederfand – hier nun konnte sie sich fühlbar entspannen.
    »Du verbringst viel Zeit mit ihm«, erklärte Salvador nach einer Weile ruhig.
    Victoria nickte. »Es muss so schrecklich sein, nicht zu wissen, wer man ist!«, stieß sie aus.
    »Weißt du es denn?«
    Die Frage überraschte sie – umso mehr, da sie sich in seiner Gegenwart gerade so entspannt hatte, nun aber vermeinte, sich rechtfertigen zu müssen. »Wer ich bin?«, rief sie verständnislos aus. »Aber natürlich! Mir war immer klar, wer ich bin und was ich wollte. Ich bin Feministin, ich will kranken Menschen helfen. Und ich wünsche mir, dass es auf dieser Welt etwas gerechter zugeht. Ich tue das, wovon ich überzeugt bin.«
    Die Worte sprudelten so schnell aus ihrem Mund, dass sie sich fast daran verhaspelte.
    Salvador lauschte regungslos, wartete eine Weile, nachdem sie geendet hatte, und sprach schließlich in das Schweigen hinein: »Ich hatte nur den Eindruck, dass du stets ein wenig … getrieben bist!«
    »Wie könnte ich es nicht sein, wenn es

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