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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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nicht, doch als Aurelia zurück zum Wohnhaus ging, kam ein Dienstmädchen herbeigeeilt – jenes, das ihr auch immer das Essen ins Zimmer brachte –, und heute senkte es nicht scheu seinen Blick, sondern betrachtete sie entsetzt.
    »Sie frieren ja, Doña!«, rief es.
    Aurelia merkte erst jetzt, dass ihr ganzer Körper zitterte. Ihre Schuhe hatten die Feuchtigkeit der Wege aufgesogen, ihr ansonsten glattes Haar hatte sich in der Luft gekräuselt.
    »Und ihr schönes Kleid ist ganz schmutzig geworden!«
    Aurelia folgte ihrem Blick und sah, dass der Saum tatsächlich über und über mit Schlamm bespritzt war. Anders als das Mädchen fand sie das Kleid jedoch alles andere als schön, aufgrund seiner schwarzen Farbe nur bedrückend.
    »Das ist nicht weiter schlimm«, erklärte sie rasch und merkte erst jetzt, was für eine Wohltat es war, wieder mit jemandem zu reden, und sei es über nichtige Dinge. »Wie heißt du?«, fragte sie.
    Nun erst senkte das Mädchen seinen Blick. Es war sehr hoch gewachsen, wenn auch mager, das Haar rotbraun und das Gesicht von vielen Sommersprossen übersät. »Marisol«, antwortete es. »Gewiss haben Sie nach Ihrem Spaziergang Hunger.«
    Aurelia hatte seit Wochen keinen Hunger, aber sie nickte, ehe sie das Haupthaus betrat, die Treppe nach oben und in ihr Zimmer ging, das dunkle, feuchte Kleid ablegte und in ihren Morgenmantel schlüpfte. Wenig später folgte Marisol mit einem großen Teller Maisauflauf, der mit Puderzucker bestäubt war. Der süße Geruch stieg Aurelia in die Nase, weckte jedoch keinen Appetit, sondern nur Übelkeit.
    »Das ist gewiss sehr köstlich!«, murmelte Marisol sehnsuchtsvoll, als sie das Tablett abstellte.
    Aurelia wurde die Kehle eng, und sie wandte ihren Blick vom Teller ab. »Ich habe keinen Hunger … warum … warum isst du nicht etwas davon?«
    Marisol riss die Augen auf. »Aber ich kann doch nicht …«
    »Natürlich kannst du! Wenn ich es dir sage. Und ich würde mich freuen, wenn du mir etwas Gesellschaft leistest.«
    Sie erhob sich, nahm Marisol, die steif stehen geblieben war, an die Hand und führte sie zu dem Tischchen, auf das sie das Tablett abgestellt hatte. »Nun setz dich! Und iss!«
    Die Gier war dem Mädchen deutlich ins Gesicht geschrieben, dennoch zögerte es, die Gabel zu ergreifen.
    »Aber Sie müssen sich doch stärken.«
    Aurelia sah, dass auf dem Tablett auch ein Glas Milch stand. »Ich trinke die Milch«, schlug sie vor, »und du isst den Maisauflauf.«
    Den ersten Bissen führte Marisol ganz langsam an den Mund, doch kaum hatte sie ihn geschluckt, konnte sie sich nicht mehr beherrschen. Sie aß immer schneller und in immer größeren Bissen, schluckte, ohne zu kauen, und hatte den Teller in Windeseile geleert.
    Aurelia sah ihr schweigend dabei zu. Es schien ihr fast wie ein Wunder, dass jemand mit solch gutem Appetit essen konnte, und zugleich wie eine Verheißung, dass sie eines Tages vielleicht auch wieder jenen gesunden Hunger haben konnte.
    Als sie ihr Mahl beendet hatte, wollte Marisol sich erheben, aber Aurelia drückte sanft die Hand auf die Schultern. »Bleib noch etwas! Und erzähl mir von dir!«
    Die Worte, die Marisol über die Lippen kamen, fielen zunächst so zögerlich aus wie ihr erster Bissen, aber so selbstverständlich, wie sie den Maisauflauf gegessen hatte, so bereitwillig berichtete sie schließlich, dass ihre Eltern zu den Pächtern zählten, dass sie das jüngste Kind und nach etlichen Söhnen die erste Tochter war, dass sie erst seit Aurelias Ankunft im Herrenhaus arbeitete, während sie zuvor auf den Feldern geschuftet hatte. Eine viel mühseligere Arbeit war das dort, aber sie vermisste sie dennoch – vor allem die Abende, wenn sie nach vollbrachtem Tagewerk zusammenhockten: Die Männer spielten dann auf ihren Instrumenten – Gitarren und Akkordeons, Flöten und Fiedeln –, und die Frauen tanzten die Cueca.
    »Wobei«, wandte sie ein, »in den letzten Jahren wurde immer weniger musiziert und getanzt. Viele der Jungen haben das Land verlassen, um in Santiago oder im Gran Norte zu arbeiten. Auch zwei meiner Brüder.«
    Sie seufzte bedauernd. Hier im Haupthaus tanzte und sang und spielte man am Abend nie auf Instrumenten – nur an den Feiertagen zu Ehren der Mutter Gottes bekam sie frei, um ihre Familie zu besuchen. Dann kochte ihre Mutter Curanto.
    »Das ist ein besonderes Festessen!«, rief Marisol begeistert. »Es wird ein tiefes Loch in die Erde gegraben und mit Steinen gefüllt, die man im

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