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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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ihrer Kehle stieg ein übermächtiger Hustenreiz auf. Als Hector einen Schritt auf sie zumachte, wich sie nun doch zurück.
    »Das … das kann er nicht machen!«, rief sie schrill.
    »Es wird Ihnen hier an nichts fehlen, Doña«, meinte Hector mit kaum verhohlenem Spott. »Sie werden gut behandelt werden und all Ihre Wünsche erfüllt. Aber William will nicht, dass Sie nach Santiago zurückkehren und wieder im Haus seiner Familie leben.«
    Er grinste, zuckte dann die Schultern.
    Aurelia spürte, wie all die Kraft, die ihr das Zeichnen geschenkt hatte, von ihr abfiel. Ihre Knie zitterten, und sie sank auf die Treppe, als hätte er sie geschlagen. Sie wollte widersprechen, aber sie wusste – es hatte keinen Sinn.
    William hatte sie immer nur zähneknirschend geduldet – um Tiagos willen –, doch nun war Tiago tot und sie ihm einfach nur lästig. Wenn er sie irgendwie auf einer entfernt gelegenen Hacienda versteckte, dann würde nie jemand das Geheimnis aufdecken, dass sie nur die Tochter von Schafzüchtern war – und was vor allem zählte: Sie würde keinen Einfluss auf Tinos Erziehung nehmen können.
    Tino, ach, Tino!
    »Sie können mir doch mein Kind nicht wegnehmen!«, stieß sie hervor, und das Bild vor ihren Augen verschwamm in Tränen. Ehe sie über die Wangen perlten, ging ihr auf, dass niemand ihr Tino weggenommen hatte. Sie selbst war bereit gewesen, ihn zu verlassen – zwar unter den falschen Voraussetzungen und fest überzeugt, ihn bald wiederzusehen, aber sie hatte nicht darauf bestanden, ihn hierher mitzunehmen.
    Sie schlug die Hände vors Gesicht, als könnte sie der bitteren Wahrheit irgendwie entgehen, aber natürlich gelang ihr das nicht. Diese Wahrheit war: Niemand würde ihr helfen. Niemand würde sich überhaupt für sie interessieren. William würde in Santiago irgendwelche Lügen erzählen, wenn man sich nach ihrem Verbleib erkundigte, und bald würde ohnehin niemand mehr nach ihr fragen. Die Damen der Gesellschaft, die sie in den letzten Jahren kennengelernt, mit denen sie diniert oder die Oper besucht hatte, waren allesamt Alicias Freundinnen, nicht ihre.
    Die einzigen Menschen, denen sie in Santiago nahestand, waren Valentina und Victoria. Aber Valentina, die sie in den letzten Jahren nur wenige Male besucht hatte, würde es schon allein aus Gründen der Bequemlichkeit hinnehmen, nichts von ihr zu hören, und es auf eine freie Willensentscheidung von Aurelia zurückführen. Victoria wiederum … oh, Victoria würde es zutiefst empören, wenn sie wüsste, was William ihr antat … aber Victoria hatte sie seit Jahren nicht mehr gesehen. Warum sollte ausgerechnet sie Nachforschungen anstellen, wo sie geblieben war?
    Als sie an die einstige Gefährtin dachte, fielen ihr plötzlich die wütenden Worte ein, die diese einmal gesagt hatte. Einmal mehr war es um den Kampf der Feministinnen gegangen und das ungerechte Scheidungsrecht, wonach Kinder stets unter der Patria Potestad, der Vormundschaft ihres Vaters, verbleiben sollten, insbesondere wenn es Jungen waren und sie schon das fünfte Lebensjahr erreicht hatten. Victoria hatte es wie so vieles kritisiert – und Aurelia hatte nicht verstanden, dass die andere so erbittert die Rechte der Frau einforderte.
    Jetzt fühlte sie am eigenen Leib, wie es war, keine Rechte zu haben.
    Sie hob den Blick und stellte fest, dass Hector sie einfach allein gelassen hatte. Sie wollte aufstehen, konnte es jedoch nicht und war sich plötzlich sicher: Sie würde es nie wieder können, sie würde hier auf der Treppe hocken bleiben müssen, hilflos, wehrlos, wie ein schwaches kleines Mädchen … so wie einst, als sie von ihrem Vater entführt worden war und nichts gegen seine rohen Griffe hatte ausrichten können.
    Wobei … sie war nicht nur schwach und klein gewesen. Sie hatte sich heimlich eine Steinschleuder gebastelt, und nur weil sie einen solchen Stein auf ihn geschleudert hatte, hatte ihre Mutter ihn erschießen und sie befreien können.
    Sie seufzte. Jetzt hatte sie keine Steinschleuder. Und selbst wenn sie eine hätte, könnte sie damit allein nichts gegen Hector ausrichten. Gewiss hatte er allen Bediensteten den Befehl gegeben, sie nicht von der Hacienda zu lassen.
    Sie ließ den Kopf gegen das Treppengeländer sinken und schloss die Augen.
    »Doña Aurelia?«
    Ihre Lider waren schwer wie Blei. Dennoch öffnete sie die Augen. Marisol stand vor ihr.
    »Doña Aurelia!«, sagte sie wieder.
    Aurelia atmete tief durch. Ihre Brust schien nicht

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