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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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verzweifelt gewirkt, nun schien er etwas abgeklärter – und zugleich verschlossener. »Wenn man nicht weiß, woher man kommt, woher soll man dann wissen, was man kann und was man sein soll?«
    »Nun, vielleicht musst du einfach so viel wie möglich ausprobieren.«
    »Ich weiß, dass ich Englisch spreche, und ich kann mich wohl oder übel auf einem Maultier halten«, murmelte er. Sein Lächeln war spöttisch, aber es erreichte seine Augen nicht. »Kochen kann ich allerdings nicht. Als ich es gestern Abend versuchte, hat mich Teodora gleich vom Herd verjagt.«
    »Mich verjagt sie auch – das hat mit Kochkünsten nichts zu tun«, erwiderte Victoria. Seit Jacob nicht mehr bewusstlos war, war Dora wieder deutlich feindseliger. Clara dagegen setzte sich manchmal am Abend zu ihr und Salvador auf die Bank und schien die Nähe zu genießen.
    Wortlos ritten sie weiter und ließen den Schatzsucher hinter sich. Wenig später kamen sie an einem kleinen Dorf vorbei, das einst von den Spaniern errichtet worden war und später von den Indios bewohnt wurde. Viele dieser Dörfer waren verwaist, weil ihre Bewohner sich entweder in die Hochebenen zurückgezogen hatten oder in den Minen oder Paprikaplantagen an der Küste arbeiteten. Auch hier herrschte zunächst Totenstille, aber dann sahen sie ein paar Kinder im Schatten der Hauswände hocken, die sie aus großen, dunklen Augen musterten. Vor ihnen sprangen ein paar junge Lamas herum, alle mit Wollkordeln an den Ohren. Sie hielten die Maultiere an und stiegen ab.
    »Die Wollkordeln sind ein Zeichen für Pachamama, die Erdenmutter«, erklärte Victoria, die sich angewohnt hatte, zu allem und jedem etwas zu sagen und so vielleicht Jacobs Erinnerungen zu beleben. »Sie ist die große Erdenmutter und soll die Lamas gut über den Winter bringen.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich bin mir nicht sicher, ich habe es wohl irgendwo aufgeschnappt. Salvador und ich behandeln manchmal auch Indios, und es ist hilfreich, wenn man so viel wie möglich über die Menschen weiß, mit denen man zu tun hat.«
    »Nur über mich«, seufzte Jacob, »weiß du so gut wie gar nichts. Und ich wiederum weiß so gut wie gar nichts von dir. Schließlich reden wir fast immer nur über mich – ich habe dir kaum Fragen gestellt.«
    »Das ist vielleicht auch ganz gut so«, gab sie zurück. Insgeheim war sie tatsächlich froh, dass Jacob so wenig über sie wusste, denn sie genoss es, sich an seiner Seite wie ein neuer Mensch zu fühlen, dessen Vergangenheit keine Bedeutung hatte. In seiner Gegenwart zählte nur der Kampf um seine Erinnerungen – nicht die Lasten des eigenen Lebens.
    »Nun, ich weiß nicht viel über dich, aber ich weiß, dass du stark bist, fürsorglich, stur … und dass ich ohne dich tot wäre.«
    Während er sprach, war er stehen geblieben, und plötzlich nahm er ihre Hand und drückte sie. Es war eine etwas verlegene Geste, und er wich ihrem Blick dabei aus, doch wie sie dastanden, betrachtete sie ihn ihrerseits genauer. Bis jetzt hatte sie seine Miene nur studiert, um zu prüfen, wie es ihm ging und ob ihm Sonne und überstandene Verletzung nicht zu sehr zusetzten. Und natürlich hatte sie all die widerstreitenden Gefühle gelesen, mit denen er zu kämpfen hatte – Zorn und Ohnmacht, Hilflosigkeit und Verzweiflung. In diesem Augenblick aber vermeinte sie, zum ersten Mal den Menschen zu sehen, der er gewesen war – und auch dieser Mensch, sehr fein, nahezu aristokratisch, musste die Traurigkeit gekannt haben, die ihn jetzt so oft überkam, auch wenn ihre Ursache eine andere gewesen war. Sie erahnte eine Sehnsucht an ihm – viel älter als die, wieder zu wissen, wer er war.
    Abrupt ließ er ihre Hand los, wandte sich ab und trat in den Schatten eines Tamarugobaums. Schwer stützte er sich gegen das vermeintlich tote Holz, dessen Wurzeln so tief in die Erde reichten. Victoria folgte ihm. Die kleinen, harten Blätter des Baums, die man als Viehfutter nutzte, stachen ihr ins Gesicht.
    Sie wusste nichts zu sagen – und auch er brachte kein Wort hervor, und da erst ging ihr auf, dass sie mit ihm noch nie geschwiegen hatte so wie an den Abenden mit Salvador. Er hatte immer um Erinnerungen gerungen – sie versucht, diese anzuspornen, aber Stille zwischen ihnen war ihr ganz und gar fremd, war auch keine Wohltat wie in Salvadors Gegenwart, sondern schürte eine gewisse Anspannung.
    Er musste es als ähnlich unangenehm empfinden wie sie, denn plötzlich begann er, gehetzt zu sprechen: »Ich

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