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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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zwar nicht wieder, hielt sie aber fest umklammert. »Sie wissen davon nichts, Doña Aurelia. In letzter Zeit gibt es hier immer mehr Vagabunden und Bandoleros, die Haciendas wie diese hier unsicher machen. Sie kommen, um zu stehlen oder um die Arbeiter aufzuhetzen. Dagegen müssen entsprechende … Maßnahmen ergriffen werden.«
    Sein kaltes Lächeln machte Aurelia Angst, aber sie fand trotzdem den Mut, ihm zu widersprechen: »Das ist kein Vagabund«, erklärte sie und deutete auf den Festgebundenen, »das ist der Bruder von Marisol … was bedeutet, dass er von hier stammt. Scheinbar ist alles nur ein Missverständnis.«
    Hector zog etwas aus seiner speckigen Hose und schleuderte es vor ihre Füße.
    »Mit Verlaub, Doña Aurelia – das hier ist kein Missverständnis.«
    Aurelia bückte sich. Was vor ihr im Staub lag, war eine Schriftrolle. Sie öffnete sie, versuchte zu lesen, verstand den Text nicht recht, nur dass er aus der Feder eines Kommunisten stammte.
    Sie musste an William denken, der auf diese politische Bewegung stets geflucht hatte – vor allem aber an Victoria, die sich mehr als einmal darüber erregt hatte, wie ungerecht in Chile das Land verteilt wäre: Die wenigen reichen Hacenderos würden ganze drei Viertel davon besitzen. Zwar gebe es immer mehr Vertreter aus dem Handel – skrupellose Kapitalisten auch diese –, die die konservative, landbesitzende Oligarchie zu verdrängen versuchten, aber letztlich übten sie ihre Herrschaft über die armen Pächter genauso absolut und willkürlich aus. Alle Reformen, um diese und die Kleinbauern zu stärken, waren bislang im Sande verlaufen.
    Aurelia ließ das Schriftstück sinken.
    »Das ist doch kein Grund, ihn auszupeitschen!«, rief sie.
    »O doch!«, knurrte Hector. »Männer wie er sind Feinde jedweder Zucht und Ordnung.«
    »Deswegen hat er trotzdem keine Peitsche verdient.«
    Das Lächeln schwand von Hectors Mund, Ärger blitzte in seinen Augen auf – und auch in den Gesichtern seiner Männer. Jene hielten, wie sie erst jetzt erkannte, Gewehre – und würden wohl nicht zögern, sie auf die Pächter zu richten. Diese wiederum begannen als Zeichen der wachsenden Unruhe, mit ihren Füßen zu scharren.
    Was, wenn die Situation eskalierte und es zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung kam? Was, wenn es Tote gab – und sie daran schuld war?
    Obwohl bis jetzt kein Schuss gefallen war, glaubte Aurelia plötzlich das Echo von einem zu hören … dem Schuss, den einst ihre Mutter abgegeben hatte … dem Schuss, der ihren leiblichen Vater Esteban getroffen hatte …
    Sie atmete tief durch. Rita hatte damals große Angst gehabt – dennoch nicht einen Moment gezögert, die Tochter mit allen Mitteln zu schützen. Und deswegen konnte auch Aurelia ihrer Angst nicht nachgeben.
    »Binden Sie ihn los!«, befahl sie, reckte das Kinn vor und hoffte, Hector würde ihr die Unsicherheit nicht ansehen.
    »Gehen Sie ins Haus!«, erwiderte er. »Dann binde ich ihn los.«
    »Nein«, erwiderte sie fest, »ich bestehe darauf, dass Sie es jetzt sofort tun. Vor meinen Augen.«
    Tuscheln brandete auf, die Unruhe wuchs. Fäuste wurden drohend erhoben – die Gewehre leider auch.
    »Wollen Sie aus nichtigem Anlass ein Blutbad riskieren?«, fuhr Aurelia Hector an. »Binden Sie ihn los!«
    Hector trat einen Schritt auf sie zu, und sie musste allen Mut zusammennehmen, um sich nicht zu ducken. Erst aus dieser Nähe sah sie, dass seine Nase rot geädert war.
    »Sie untergraben hier nicht meine Autorität«, zischte er.
    Er kam noch näher, stand nun bedrohlich vor ihr. Aurelia musste den Kopf in den Nacken legen, um in sein Gesicht zu sehen.
    »Wissen Sie überhaupt, mit wem Sie reden?«, fragte sie.
    Seine Reaktion verblüffte sie. Sie hatte mit wütenden Worten gerechnet, mit neuerlichem Protest, vielleicht mit seinem Einlenken. Doch stattdessen riss nun auch er seinen Kopf nach hinten und lachte aus voller Kehle.
    »Ich bin die Schwiegertochter von William Brown y Alvarados!«, rief Aurelia empört.
    Abrupt riss das Lachen ab. »Tatsächlich?«, kam es gedehnt.
    Aurelia war zu verwirrt, um nachzufragen, was er meinte, und Hector fügte nichts mehr hinzu.
    »Binden Sie ihn los!«, forderte sie erneut.
    Hector wandte sich von ihr ab. Bis jetzt war jede Bewegung langsam ausgefallen – nun plötzlich ging alles ganz schnell. Er hob die Hand, ließ die Peitsche spielen, traf damit den Festgebundenen. Der schrie auf – wie auch Aurelia. Blut tropfte über den Rücken,

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