Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
Vom Netzwerk:
sie langsam, ganz langsam nach unten stieg.
    Marisol sah von oben zu. Als Aurelia einmal ihren Blick suchte, verlor sie fast das Gleichgewicht. Verzweifelt klammerte sie sich fest, das Holz knirschte aufs Neue.
    »Beeilen Sie sich!«
    Aurelia hielt fortan den Blick starr auf die Hauswand gerichtet, umklammerte die Leiter und stieg weiter nach unten. Nach gefühlten Ewigkeiten hatte sie den Boden erreicht. Ihre Knie zitterten so stark, dass sie glaubte, er würde unter ihr beben. Noch beängstigender war die Ahnung eines Lichtstrahls in der Ferne. Eine Sinnestäuschung? Oder Zeichen, dass doch nicht alle Welt schlief?
    Ihr Herz pochte bis zum Hals, wieder stieg ein Husten in ihrer Brust hoch. Sie schluckte verzweifelt dagegen an, blickte dann nach oben, konnte Marisols Gesicht aber nicht mehr sehen.
    Hoffentlich bekam Marisol keine Schwierigkeiten … und hoffentlich gelang es ihr, den Hof zu überqueren, ohne ertappt zu werden.
    Sie schlich an der Hauswand entlang, und obwohl sie nur die Zehenspitzen aufsetzte, knirschte der sandige Boden unter den Füßen. Einmal musste sie trotzdem husten – und das rasselnde Geräusch, das daraufhin ertönte, klang in ihren Ohren so laut wie ein Donnerhall. Erschrocken schlug sie sich die Hand vor den Mund und erstarrte, doch nachdem der Husten verklungen war, war nichts mehr zu hören.
    Sie schlich weiter und erreichte den schmalen Durchgang, der aus dem Innenhof führte. Bedrohlich schien die Welt dahinter. Die Bäume glichen einer dunklen Wand, ihre Äste Händen, die nach ihr griffen, das Scharren und Wiehern der Pferde vom nahen Stall Hohngelächter. Immerhin war dies ein Laut, dem sie leicht folgen konnte – und der auch das Knirschen ihrer Schritte übertönte.
    Schon sah sie nicht weit von sich die Vorderfront des Stalls aufragen. Nur noch wenige Schritte, dann hatte sie ihn erreicht, Luis würde dort warten, sie würden die beiden Pferde besteigen und …
    Plötzlich schnitt sich Licht in ihre Augen – es stammte nur von einer Fackel und war nach der Dunkelheit doch grell wie gleißendes Sonnenlicht. Aurelia schlug sich die Hände vor die Augen, lugte schließlich vorsichtig zwischen den Fingern hindurch. Kurz hoffte sie, dass Luis es war, der mit der Fackel in der Hand auf sie zutrat. Doch von Luis war weit und breit nichts zu sehen. Wer dort nicht weit vom Stall entfernt auf und ab ging, sie vielleicht gehört, nun auch gesehen hatte, war Hector.

26. Kapitel
    D ie Ausflüge in die Wüste, die Victoria mit Jacob auf Maultieren machte, führten immer weiter von der Mine fort und dauerten zunehmend länger. Anfangs hatte sie noch die Furcht begleitet, dass sie sich wieder verirren würde, so wie an dem Tag, da sie den Verletzten gefunden hatte. Doch mit der Zeit konnte sie sich sehr gut orientieren. Auf den ersten Blick sah in der Wüste alles gleich aus, aber wer mit wachem Blick durch diese Einöde schritt, konnte bald den einen knorrigen Tamarindenbaum vom anderen unterscheiden oder anhand des Standes von Sonne, Wolken und der fernen Vulkanspitzen die Himmelsrichtungen festlegen und seinen Weg bestimmen. Je weiter sie sich fortwagte, desto größer war auch der Lohn – Landschaften, die nur ein seelenloser Mensch als unwirtlich benennen konnte, die für sie jedoch einen ganz besonderen, einzigartigen Zauber atmeten. Sie kamen an Seen vorbei, in denen Flamingos nach kleinen Krebsen fischten, an Geysiren, die schwefelhaltiges Wasser spuckten, an Kakteen, die leuchtende Blüten hervortrieben. Manchmal begegneten sie auch Menschen – Atacameños, Händlern und Minenarbeitern, einmal auch einem Mann, der verbissen den Wüstensand durchwühlte.
    »Was tun Sie denn da?«, fragte Victoria überrascht, und nach längerem Zögern gab der Mann zu, dass sich im Sand immer noch spanische Münzen und Juwelen der Inkas finden ließen, die hier jahrhundertelang vergraben lagen.
    Dann wandte er sich wieder dem Graben zu – und während Victoria weitergehen wollte, blieb Jacob stehen und starrte fasziniert auf den Mann.
    »Er tut letztlich das Gleiche wie ich«, murmelte er, »er gräbt nach einem Schatz, ich nach meinen Erinnerungen.«
    Er ließ ungesagt, dass ihrer beider Ausbeute nicht sonderlich groß war, und obwohl Victoria zunächst die üblichen tröstenden Worte auf den Lippen hatte, fragte sie dann mit aller Offenheit: »Falls du dich nie wieder erinnern kannst – wie wirst du dann weiterleben?«
    Er zuckte die Schultern. In den ersten Wochen hatte er stets so

Weitere Kostenlose Bücher