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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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und sie konnte es plötzlich im eigenen Mund schmecken, so fest hatte sie sich vor Schreck auf die Lippen gebissen.
    »Wie können Sie nur …?«, setzte sie an.
    In diesem Augenblick ließ Hector die Peitsche sinken. »Bindet ihn los!«, knurrte er unwillig – und an die anderen Pächter gewandt: »Und ihr macht, dass ihr fortkommt.«
    Zuletzt wandte er sich an Aurelia, und obwohl er zwar nachgegeben hatte, erschauderte sie angesichts der Kälte und Verachtung in seinem Blick. »Sie haben mir hier gar nichts zu sagen. Die Schwiegertochter? Pah! Dass ich nicht lache! William Browns Gefangene sind Sie, nichts weiter!«
    Er spuckte vor ihr auf den Boden und verließ mit zornrotem Gesicht den Stall.

    Wie betäubt verließ Aurelia den Stall. Sie lief über den Hof und die Treppe hinauf, sank in ihrem Zimmer aufs Bett. Hectors Worte wirkten in ihr nach, als hätte sie einen Schlag erhalten.
    Seine Gefangene sind Sie …
    Immer wieder echote dieser Satz in ihr, bis sie zu müde war, um deswegen noch länger Verzagtheit oder Entsetzen zu fühlen. Sie schloss die Augen, versuchte sich einzureden, dass sich Hector gewiss missverständlich ausgedrückt hatte, um sie – mit voller Absicht – zu verwirren. Aber zählte am Ende nicht vor allem, dass er Marisols Bruder nicht ausgepeitscht hatte – von dem einen Schlag abgesehen? Die Stille im Hof bewies auf jeden Fall, dass er es nicht wagte, hinter ihrem Rücken erneut die Bestrafung des Kommunisten anzuordnen.
    Irgendwann war sie davon überzeugt, dass alles nur ein Irrtum war, und sie schlief ein.
    Doch am Morgen erwachte sie mit dem Gefühl einer vagen Bedrohung, und sie war nicht fähig, den gewohnten Tagesrhythmus aufzunehmen und zu zeichnen. Sie schüttelte ihre Müdigkeit und Niedergeschlagenheit ab, öffnete das Fenster und atmete tief die frische Morgenluft ein. Im Hof war es immer noch still, ihre Sinne hingegen waren hellwach. Und diese Sinne sagten ihr, dass irgendetwas nicht in Ordnung war.
    Es war noch nicht Mittag, als sie all ihre Sachen zusammenpackte. Jetzt die Hacienda zu verlassen fühlte sich zwar etwas schäbig an – hieß es doch, dass sie Marisol und ihre Familie einfach im Stich ließ, aber sie konnte es nicht abwarten, nach Santiago zu Tino zurückzukehren – und von dort aus konnte sie erreichen, dass Hector Sedano durch einen anderen Aufseher ersetzt wurde!
    Mit William zu reden, womöglich gar Forderungen an ihn zu stellen, war eigentlich undenkbar, und noch undenkbarer war, ihn wegen eines schlechten Verwalters zur Rede zu stellen. Doch dann sagte sie sich trotzig, was sie auch Hector gestern Nacht gesagt hatte: Sie war William Browns Schwiegertochter – kein Dienstmädchen, das man herumkommandieren konnte.
    Mit ihrer Tasche in der Hand ging sie die Treppe hinunter und erreichte die große Eingangshalle. Nirgendwo war Marisol zu sehen, und sie bedauerte es, sich nicht von ihr verabschieden zu können. Sie wandte sich an den erstbesten Dienstboten, der ihr über den Weg lief, und verlangte, dass er den Kutscher suchen und ihm befehlen sollte, anspannen zu lassen. Sie wolle sofort zum Bahnhof gebracht werden.
    Noch während sie es sagte, merkte sie, wie leichtsinnig sie war: Sie wusste nicht einmal, wann und ob heute ein Zug abfuhr. Doch sie nahm den Befehl nicht zurück. Sie wollte weg von hier … nur weg … und wenn sie Ewigkeiten auf einem verlassenen Provinzbahnhof warten müsste.
    Der Mann nickte, ging hinaus, und sie begann, die Halle auf und ab zu gehen. Die Luft war feucht und schwer. Die weiße Farbe bröckelte von den Wänden oder wurde an den Ecken vom Schimmel zerfressen.
    Als sich die Tür öffnete, fuhr sie erleichtert herum, doch es trat ihr nicht der Kutscher entgegen, sondern Hector.
    Seine Haare schienen an seinem Kopf zu kleben, das Gesicht war nicht rot wie gestern, sondern blass, und in seinen Augen stand kein Ärger, nur Nachsicht.
    »Haben Sie gestern nicht begriffen, was ich zu Ihnen gesagt habe, Doña Aurelia?«, fragte er gedehnt.
    Sie unterdrückte ihr Unbehagen und straffte die Schultern.
    »Ich will nach Santiago … sofort!«, bestand sie.
    Er hob eine Augenbraue. »Aber Señor William will das nicht.« Es klang seltsam, den Namen aus seinem Mund zu hören, denn er sprach ihn mit starkem Akzent aus.
    »Was soll das heißen?«, fragte sie und konnte das Zittern in ihrer Stimme nicht länger unterdrücken.
    »Das soll heißen, dass Sie die Hacienda nicht verlassen werden.«
    Aurelia schwindelte. In

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