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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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weiß von dir, dass du vieles kannst. Du lernst sehr schnell und merkst dir vieles, nicht wahr? Sonst hättest du mir nicht vom Salpeterabbau erzählen können, obwohl du damit nichts zu tun hast. Gewiss bist du eine hervorragende Krankenschwester, und …«, er zögerte kurz, ehe es aus ihm herausbrach, »… und in deiner Gegenwart fühle ich mich noch mehr als Nichtsnutz, fühle ich mich noch … nackter.«
    »Sag so etwas nicht! Nur weil du es nicht mehr weißt, heißt es nicht, dass du nichts kannst.«
    »Aber das, was ich kann, erscheint mir so … bedeutungslos. Ich habe es dir noch gar nicht gesagt, aber seit einiger Zeit schwirren mir ständig irgendwelche Zahlen im Kopf herum. Ich glaube, ich kann ganz gut rechnen.«
    »Dann tu es doch einfach! Rechne!«
    Er schüttelte den Kopf. »Aber diese Zahlen interessieren mich nicht! Ich möchte nicht rechnen können, ich möchte wissen, ob ich eine Frau gehabt habe, ob ich Vater bin.«
    Wieder ergriff er plötzlich ihre Hand, diesmal nicht, um sie zu drücken, sondern um zart darüber zu streicheln. Sie erstarrte, aber entzog sich ihm nicht, auch dann nicht, als er die andere Hand hob, sie zu ihrem Gesicht führte und ihre Wangen berührte.
    »Fühlt es sich für dich vertraut an, eine Frau zu anzufassen?«, stieß sie heiser hervor. Ihr wurde kalt und heiß zugleich.
    Er nahm seine Hand nicht zurück, streifte ihre Schläfen, ihre Nasenspitze, fuhr über ihre Lippen. »Ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht.«
    Victoria schluckte schwer. »Aber ich weiß es«, murmelte sie, »ich spüre es. Dass du ungemein zärtlich sein kannst. Dass du irgendwann so zärtlich zu einer Frau gewesen bist. Dass du sie … geliebt haben musst.«
    Er zog seine Hand zurück, aber sie erlaubte ihm nicht, aus dem Schatten des Baums zu treten. Sie packte nun ihrerseits seine Hand, beugte sich darüber und küsste sie. Seine Haut war rauh und warm. »Und fühlt sich das für dich ebenfalls vertraut an?«, fragte sie leise.
    Als sie den Kopf hob, starrte er sie an. Sie glaubte in seinen Augen etwas aufblitzen zu sehen, vielleicht eine Erinnerung, vielleicht einfach nur ein starkes Gefühl, das ihn übermannte. Sie ließ seine Hand nicht los, zog sie an ihre Brüste, zwang ihn dazu, sie zu befühlen. Sie sah, wie er erzitterte, und erschauderte selbst. Jiacinto war bis jetzt der Einzige gewesen, der sie hier berührt hatte, nicht annähernd so zärtlich, sondern nachlässig, spöttisch, als wäre ihr Körper nur ein Spielzeug. Aber Jacob wusste nichts von Jiacinto – und deswegen verblasste alsbald jede Erinnerung daran, so als hätte einer, der sein Gedächtnis verlor, die Macht, auch bei ihr alles Vergangene auszumerzen. Kurz war es bedeutungslos. Kurz gab es nur sie beide auf der Welt, ohne Gestern, ohne Morgen.
    Seine Hand glitt von der einen Brust zur anderen, dann etwas tiefer, streichelte ihren Bauch. Plötzlich ließ er sie wieder los, jedoch nur, um ihren Nacken zu umfassen, sie an sich zu ziehen und sie zu küssen.
    Nie war sie so geküsst worden, so sanft, so vorsichtig, so zärtlich. Jiacintos Küsse waren stets grob ausgefallen, nicht weil er ihr weh tun wollte, sondern weil er den Anschein gab, dass ihm – außer seinen politischen Überzeugungen – nichts wichtig genug war, um sonderlich viel Aufmerksamkeit darauf zu verschwenden, ob an seine Sauberkeit, seine Kleidung, seine Haare – und eben auch an Gesten der Zuneigung. Gehetzt und nachlässig, kamen sie bei ihm nie an erster Stelle, waren lediglich Unterbrechungen.
    Jacob und sie aber hatten alle Zeit der Welt, sich vorsichtig zu erforschen. Nichts Wildes, nichts Drängendes, nichts Brutales lag darin, als ihre Lippen erst eine Weile aufeinanderlagen, sich dann öffneten, sich ihre Zungen fanden, sich dem Geschmack des anderen hingaben.
    Erst wurde Victoria ganz steif, dann hatte sie das Gefühl, zu zerschmelzen. Die Grenzen zwischen ihrem und seinem Körper schienen aufgeweicht; bedeutungslos wurde, dass er nicht wusste, wer er war. Sie wollte es nicht wissen, wollte noch weniger wissen, wer sie selber war oder sein konnte, wollte nur küssen und halten und umarmen und lieben und begehren.
    Sie hob die Hände, um auch seinen Nacken zu umschließen, doch kaum berührte sie die heiße Haut, spürte sie, wie er erstarrte. Abrupt lösten sich seine Lippen von ihren; er riss sich von ihr los, ließ seine Hände sinken. Seine Züge, eben noch so hingebungsvoll, verdunkelten sich. Er fuhr sich mit der Hand

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