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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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hustete und rang um Atem. Die Kraft, den Kopf zu heben, sich zu vergewissern, dass sie den richtigen Weg nahm, hatte sie nicht, aber irgendwie konnte sie sich aufrecht halten und weitergehen. Rund um sie tobte das Leben, doch sie vernahm die Stimmen und Geräusche wie hinter einem Schleier. Als sie endlich die Straße erreichte, wo die Familie Veliz lebte, wurde der Schleier immer dunkler und schwerer. Obwohl das Ziel so nah war, gaben ihre Sinne, die bislang wacker gegen eine Ohnmacht gekämpft hatten, nacheinander auf. Erst hörte sie nichts mehr, dann wurde es schwarz vor ihren Augen. Sie wollte sich einmal mehr an eine Hauswand stützen, griff jedoch ins Leere und fiel krachend zu Boden.
    Ich habe es doch so weit geschafft, dachte sie, während ihr Kopf auf dem Pflaster aufschlug, es sind nur noch ein paar Schritte … ein paar Schritte zu viel …
    »Tiago …«, seufzte sie, »… ach, Tiago …«
    Sie hoffte, dass sie ihn wiedersehen würde, wenn sie hier und heute starb. Doch als sie endgültig das Bewusstsein verlor, erwartete sie nicht der geliebte Mann, sondern nur das Nichts.

27. Kapitel
    P epe führte wieder einmal seine mürrischen Selbstgespräche, als er das Haus verließ und zur Apotheke aufbrach. Valentina hatte ihn dorthin geschickt, weil sie sich einbildete, dass sie augenblicklich ein paar der viel gepriesenen »Pilules Orientales«, die für teures Geld von Europa importiert und für noch teureres Geld an chilenische Frauen verkauft wurden, schlucken müsse. Pepe hatte von diesen Pillen noch nie gehört, aber Valentina hatte ihn ungefragt über deren Wirkung aufgeklärt: Sie würden die Festigkeit der Brüste sichern.
    Pepe schüttelte sich und wusste nicht, was schlimmer war: sich überhaupt Gedanken über die Festigkeit von Valentinas Brüsten machen zu müssen oder zu überlegen, warum sie selbst ausgerechnet jetzt so viele Sorgen daran verschwendete. Die Eitelkeit hatte nie zu ihren Eigenschaften gezählt, im Gegenteil: Seit dem Tod des Vaters war ihr das äußere Erscheinungsbild weitgehend gleichgültig und wichtig einzig, dass ihr schwarzes Kleid und der Schleier auf dem Kopf nicht schmutzig oder faltig waren. In letzter Zeit aber verhielt sie sich oft wie eines der oberflächlichen Mädchen, deren Gedanken allein um die Bewahrung der Schönheit kreisten und für die eine neue Falte im Gesicht eine Katastrophe darstellte.
    Woher kam das nur? Hatte die Tatsache, dass sie etwas schwerfälliger wurde und häufig an Gliederschmerzen litt, eine bislang fremde Angst vor Alter und Tod geschürt? Oder war ihr bis jetzt so scharfer Geist zunehmend verwirrt und machte sie glauben, sie wäre wieder jung? Vielleicht aber, so dachte er misstrauisch, war sie gar nicht verwirrt, sondern spielte ihm das nur vor, um ihm einmal mehr vor Augen zu halten, dass er sie unmöglich im Stich lassen konnte.
    Pepe blickte starr auf den Boden und nahm kaum etwas wahr. Warum war sein Vater so früh gestorben, haderte er, warum hatte er keine Geschwister, die die Sorge um die Mutter teilten, warum war er nicht rechtzeitig fortgegangen, warum …
    Seine Gedanken gerieten ins Stocken, seine Schritte auch. Er konnte sich fast allem Lebendigen, das um ihn tobte, blind stellen, nicht aber dem verschließen, was da unmittelbar vor ihm auf der Straße lag. Von weitem betrachtet, sah es wie ein Haufen alter Kleidung aus, doch als er näher kam, erkannte er, dass unter dieser Kleidung ein Mensch lag. Er wollte schon zurückweichen, um sich keine weitere Verantwortung aufzubürden, als er begriff, dass dieser Mensch kein Fremder war. Es war eine Frau. Es war Aurelia!
    Pepe brach der Schweiß aus, und sein Herz drohte stillzustehen. An einen gleichmäßigen Lebensrhythmus gewohnt, war das fast zu viel der Aufregung.
    Mit zitternden Händen nahm er seine Hornbrille ab und wischte sie sauber, um eine Sinnestäuschung auszuschließen. Kaum saß die Brille wieder auf der Nase, wurde jedoch offensichtlich: Er hatte sich nicht getäuscht.
    »Grundgütiger!«
    Das erste Mal, seit er das Haus verlassen hatte, hob er den Kopf, nahm die umherlaufenden Menschen wahr, ein jeder auf den eigenen Weg konzentriert und blind für diese Ohnmächtige. Was für eine böse, herzlose Stadt!, fluchte er, der eben selbst nur wahrgenommen hatte, was mit dem eigenen Tagewerk zu tun hatte.
    Vorsichtig beugte er sich über sie. »Aurelia!«
    Aurelia war immer klein und zart gewesen, doch nun war ihr Gesicht wächsern, als wäre es aus Porzellan und

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