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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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neugierig, während Clara scheu ihren Blick gesenkt hielt.
    »Ich habe einen Bericht von Albert Konrad gelesen«, erklärte Christopher, »das ist ein Deutscher, der eigentlich hierhergekommen ist, um Gold zu suchen. Nun, Gold hat er keines gefunden, aber stattdessen Knochen von den Mylodonen.«
    »Den was?«
    »Das ist ein Fabelwesen, halb Mensch und Tier, das hier in Patagonien gelebt haben soll. Die Museen in Europa zahlen Unsummen dafür.«
    Angesichts dessen, dass die Wellingtons so lange Reisen machten, bestand wohl keine Geldnot, und Kate wiegelte auch prompt ab. »Manchmal fühlt sich ein Mann ja zum Entdecker berufen. Ich fürchte nur, dass er sich hier für teures Geld irgendwelche nutzlosen Guanakoknochen andrehen lässt.«
    »Also hör mal, ich habe …«
    Kate ignorierte den Protest und wandte sich an Victoria. »Sie haben sich uns noch gar nicht vorgestellt. Ich glaube, Sie tragen einen deutschen Namen, nicht wahr?«
    »Victoria Hoffmann, ja. Die Mädchen hingegen heißen Cortes.«
    Noch während sie es sagte, bereute sie ihre Worte. Sie provozierten geradezu die Frage nach ihrem Mann, die sie eigentlich unbedingt hatte vermeiden wollen. Doch Gott sei Dank blieb diese aus. »Und was treibt Sie hierher in die einsamste Gegend der Welt?«, wollte Kate Wellington stattdessen wissen.
    »Nun, wir kommen aus der Atacamawüste, und da ist es mindestens ebenso einsam. Besonders in den letzten Jahren.«
    Kate Wellington nickte verständnisvoll. Sie schien also auch gehört zu haben, dass man während des großen Kriegs künstliches Nitrat erfunden hatte und der bisher so einträgliche Salpeterabbau im Gran Norte fast völlig zum Erliegen gekommen war. Tausende von Arbeitern lungerten erst nichtstuend in der Wüste herum und wurden dann mit Sonderzügen nach Santiago geschafft, wo die Regierung sich verzweifelt darum bemühte, neue Arbeitsplätze zu schaffen oder mit Suppenküchen die schlimmste Not zu lindern.
    Als sich die Mine nach und nach geleert hatte, war auch für Victoria die Arbeit knapp geworden – wenngleich dies am Ende nicht den Ausschlag gegeben hatte, die Atacamawüste zu verlassen.
    »Ich bin wirklich sehr neugierig, ob man sich hier so gottverlassen fühlt, wie alle sagen«, fuhr Kate fort. »Ich habe ein Buch gelesen – von Mollie Robertson, worin sie ihre Kindheit auf einer Estancia beschreibt. Ein durchaus hartes Leben.«
    Christopher Wellington verdrehte einmal mehr die Augen. »Wenn wir nicht reisen, liest meine Frau ständig – und weil sie ständig liest, müssen wir danach ständig verreisen. Am liebsten sind ihr nämlich Reiseschilderungen von berühmten Frauen: Maria Graham, Lucy Thurston, Ida Pfeiffer, Florence Dixie. Wie sollen wir da je zur Ruhe kommen?«
    Er klang, als wären die Reisen ein großes Opfer, aber in seinen Augen glänzte Abenteuerlust.
    »Und wo leben Sie, wenn Sie nicht gerade auf Reisen sind? Sie sind Amerikaner, nicht wahr?«
    »New Yorker, um genau zu sein. Es heißt, das sei die aufregendste Stadt der Welt. Aber jede Stadt wird langweilig, wenn man zu viel Zeit dort verbringt.«
    Victoria wusste von New York nur, dass es dort Häuser gab, die in den Himmel wuchsen, und die elektrische Beleuchtung abends nicht abgeschaltet wurde, so dass die Stadt nie schlief.
    »Und was treibt Sie nach Patagonien?«, fragte Kate.
    Victoria senkte ihren Blick. »Ich habe hier Verwandtschaft«, erklärte sie knapp, »und werde sie für eine Weile besuchen.«
    Wieder dankte sie Gott, dass Kate nicht nachbohrte. Während die Mädchen neugierig nach den Weltreisen der Wellingtons fragten und diese eifrig und auch ein wenig prahlerisch Antwort gaben, wandte sich Victoria ab und starrte aufs Meer. Nachdem sie jahrelang inmitten von Wüstensand gelebt hatte, war ihr diese Fülle an dunklem Wasser fast unheimlich.
    Ich bin nicht nur hier, um Verwandte zu besuchen, fügte sie in Gedanken hinzu, sondern um meinen Seelenfrieden wiederzufinden.
    Sie seufzte schwer.
    Salvador hatte bis zuletzt gearbeitet, lag aber mit seiner Diagnose letztlich richtig: Die Kugel, die seit Iquique in seinem Bein steckte, hatte ihn am Ende regelrecht vergiftet. Immer ausgezehrter war er geworden, immer blasser, der Atem und der Herzschlag flacher. Vor einigen Monaten war er mit Fieber und bläulichen Lippen in ihren Armen gestorben. Er war seinem Tod gefasst entgegengetreten, und so war es auch ihr gelungen, die Haltung zu wahren. Sie war dankbar gewesen, noch die Zeit zu haben, ein letztes Mal ihre Liebe

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