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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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zuwandte und hoheitsvoll »Habt Dank!« murmelte.
    Victoria wollte zu ihr eilen, doch plötzlich wurde ihr Name gerufen und auch sie von allen Seiten eingekreist, zwar nicht von Tieren, aber von Menschen. Verwirrt blickte Victoria sie an und erkannte vorerst keinen von ihnen – sie hingegen war diesen Menschen offenbar alles andere als fremd.
    »Victoria!«, rief eine ältere Frau, trat auf sie zu und ergriff ihre Hände. »Victoria! Du bist das Abbild deiner Mutter! Gewiss, ihre Haare waren blond, nicht wie deine braun, und Emilia war etwas größer, dennoch …«
    Ihre Stimme zitterte.
    Das muss Rita sein, dachte Victoria und erwiderte den Händedruck. Sie hatte ähnlich feine Züge wie Aurelia, und das Haar, mittlerweile an vielen Stellen ergraut, musste einst so schwarz und glänzend gewesen sein wie ihres.
    »Oh, ich bin so froh, dass du da bist!«, stieß Rita aus. Victoria nickte mit trockenem Mund.
    An Ritas Seite trat ein Mann, der ohne Zweifel der hässlichste war, den sie je gesehen hatte – mit diesen vielen Narben im Gesicht und einem krummen, etwas verkürzten Bein, das er hinter dem anderen herzog. Der Blick seiner Augen jedoch war warm und seine Begrüßung herzlich: Ohne Zögern zog er Victoria stürmisch an sich, und obwohl sie kurz erstarrte, gab sie sich dann glücklich der Umarmung hin.
    Sie war nicht mehr allein … mit der Trauer um Salvador … mit der Verantwortung für die Stieftöchter.
    »Balthasar!«, stieß sie aus. »Balthasar Hoffmann! Der Verwandte meines Vaters!«
    Sie löste sich aus der Umarmung, wollte etwas fragen, aber wurde nun ihrerseits von Fragen überhäuft, nicht nur von Rita und Balthasar, sondern auch von den schlaksigen Burschen, die um sie herumstanden. Zu jenen zweien, die Dora vor den Schafen gerettet hatten, gesellte sich noch ein dritter, etwas jüngerer. Das mussten Emilio, Arturo und Cornelio sein, Aurelias Halbbrüder.
    Victoria konnte kaum ein Wort verstehen. Wild gingen die Rufe durcheinander – wie die Reise gewesen sei, ob sie sich sehr erschöpft fühlten, das müssten dann wohl ihre Stieftöchter Teodora und Clarabel sein, ob sie sich kurz stärken und rasten wollten oder lieber gleich zur Estancia aufbrechen. Die Jungs stellten nicht nur Fragen, sondern erklärten Dora und Clara unaufgefordert, was es über Schafe zu wissen gab und wie man vermied, von ihnen mitgerissen zu werden. Im Eifer, sich als der jeweils Klügste herauszustellen, übertönten sie sich gegenseitig.
    Nur einer war stumm geblieben – jener Mann, der ein wenig abseitsstand und ohne Zweifel der größte war, den Victoria je gesehen hatte, der Tehuelche Maril, der stolz wie ein König wirkte und ihr nur hoheitsvoll zunickte.
    Victoria wurde warm ums Herz. Ihre Angst, sich unter diesen Menschen fremd zu fühlen, verflüchtigte sich. Dies war die einzige Familie, die sie noch hatte – und sie wurde von ihr mit offenen Armen empfangen.
    »Nun seid doch mal still!«, rief Rita schließlich und übertönte das allgemeine Geschrei. »Sonst platzt einem ja noch der Kopf!« Sie wandte sich an Victoria und ergriff wieder ihre Hände. »Ana hat uns nicht begleitet, sondern ist auf der Estancia geblieben, um ein Festmahl vorzubereiten. Wenn ihr allerdings jetzt schon Hunger habt, dann können wir in einer Herberge einkehren.«
    »Wir sind auf dem Schiff gut versorgt worden. Und das Leben in der Wüste macht zäh.«
    »Du klingst wie deine Mutter, dennoch …«
    »Nun lass sie doch«, schimpfte Balthasar gutmütig. »Wenn sie keinen Hunger hat, ist es so. Und ihr, Jungs, lasst endlich die Mädchen in Ruhe.«
    Trotz Ritas lautem Befehl hatten Cornelio, Emilio und Arturo erneut begonnen, den Zwillingen von der Schafzucht zu erzählen.
    Er zwinkerte Victoria amüsiert zu. »Auf der Estancia ist es sehr einsam – dort trifft man kaum auf junge Frauen. Und nun hast du gleich zwei so hübsche mitgebracht. Das wird ein Theater geben!«
    »Nun, zwei sind für drei aber eine zu wenig«, gab Victoria zu bedenken, »und außerdem …«
    Sie verstummte. Der riesengroße Maril war etwas zur Seite getreten, und erst jetzt sah sie, dass noch jemand mitgekommen war, um sie vom Hafen abzuholen. Sie war zart und klein wie einst, immer noch schön, wenn auch von den Spuren der Zeit gezeichnet. Falten hatten sich um Augen und Mund eingekerbt, Falten, die von Wind und Sonne rührten – und von … Kummer. Jetzt allerdings lächelte sie.
    »Aurelia …«, stieß Victoria tonlos aus.
    Sie wähnte sich

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