Im Schatten des Feuerbaums: Roman
Schrecken etwas Ruhe gegönnt sei.
»Offenbar sind Sie ja an fremden Kulturen sehr interessiert«, wandte sie sich an Kate. »Nun, Maril ist ein Tehuelche, vielleicht wollen Sie mit ihm darüber reden …«
Sie drehte sich um, stellte aber fest, dass Maril unauffällig verschwunden war. So hilfsbereit er sich gegenüber den fremden Weißen erwiesen hatte, wollte er sich doch nicht länger als notwendig in ihrer Gesellschaft aufhalten. Das war wohl auch besser so, denn womöglich würden die Wellingtons noch auf die Idee kommen, ihn zu fotografieren, und Maril, dessen war Victoria sich sicher, wäre viel zu stolz, um dabei mitzumachen.
Doch auch wenn Kate sich nun nicht mit Maril unterhalten konnte, war vorerst ein Thema gefunden, das sie von ihrem Mann ablenkte. »Es heißt, die Tehuelche seien riesengroß!«, rief sie.
»Deswegen heißt Patagonien auch, wie es heißt – weil die ersten Europäer im Gefolge von Magellan auf Menschen mit riesengroßen Füßen – auf Spanisch patanes – trafen«, schaltete sich Christopher ein.
Kate musterte ihn abschätzig. »Ich habe gehört, dass bei den Tehuelche ein Neugeborenes gleich nach der Geburt mit kaltem Wasser gewaschen wird, auch im Winter. Wenn es stark ist, schadet ihm die Kälte nicht, wenn es stirbt, war es eben nicht lebensfähig. Wenn deine Mutter das mit dir gemacht hätte, hättest du die Prüfung gewiss nicht bestanden.«
Victoria sah, wie Christopher schmerzhaft sein Gesicht verzog, und suchte nach einer anderen Möglichkeit, Kate abzulenken.
»Wahrscheinlich werden Sie nun nicht länger durch Patagonien reisen können. Aber wenn Sie einen besseren Eindruck von dem Land erhalten wollen, dann sollten Sie Aurelias Bilder sehen. Sie ist eine begnadete Malerin, müssen Sie wissen.«
Aurelia, die Tino immer wieder erleichtert an sich zog, machte eine abwehrende Geste, aber Victoria nickte nachdrücklich, und Kates Neugierde war sofort geweckt. »Aber unbedingt!«, rief sie.
Nachdem Victoria ihr ein zweites Mal zunickte, gab Aurelia nach – nicht zuletzt, um Christopher einen Gefallen zu tun. Auch Tino folgte ihnen, Arturo und die Zwillinge hatten sich gemeinsam mit Maril bereits zurückgezogen, und Victoria genoss die wohltuende Stille. Sie deckte Christophers Bein zu und setzte sich zu ihm ans Bett.
»Ihre Frau besitzt reichlich viel Temperament«, meinte sie, »ich hoffe, Sie haben keine allzu schlimmen Schmerzen. Falls doch, kann ich Ihnen etwas dagegen geben.«
»Ach was, es ist nicht weiter schlimm. Sagen Sie das aber bloß nicht meiner Frau. Ich suche schon seit langem nach einer Ausrede, dass wir endlich wieder nach New York zurückkehren können. Und wenn ich nun ein wenig humple, ist das ein guter Grund.«
»Und Kate wird Ihnen das glauben?«, fragte Victoria skeptisch.
»Eigentlich nicht. Aber auch wenn sie sich dagegen sträubt – sie ist froh, immer mal wieder in die Heimat zurückzukehren. Und sei es nur, um all unsere Freunde einzuladen oder solche, die sie dafür hält, ihnen von sämtlichen meiner Missgeschicke zu erzählen und ihnen stolz alle unsere Souvenirs vorzuführen.«
Victoria lächelte. »Am besten, ich lasse Sie ein wenig allein«, meinte sie dann und erhob sich, »dann können Sie sich etwas ausruhen.«
Solange sie an Christophers Bett saß, hatte man kein Wort von Kate gehört, doch nun, da sie ins Freie trat, drang Victoria schon von weitem diese schrille, aufdringliche Stimme entgegen. Offenbar versuchte sie Aurelia von etwas zu überzeugen, und Victoria ging rasch zu der Malstube.
»Wirklich! Diese Bilder sind großartig! Vielleicht denken Sie, dass ich nicht viel davon verstehe, aber wenn man so oft durch die Welt reist, wird man empfänglich für das Schöne. Und schon bevor wir angefangen haben zu reisen, war ich in New York regelmäßig im Metropolitan Museum of Art. Ich kann mich an keine Gemälde erinnern, die annähernd an Ihre herankommen …«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, hielt Aurelia schwach dagegen.
Victoria schaltete sich energisch ein: »Ich habe immer schon gesagt, dass sie gut sind.«
»Mag sein«, setzte Aurelia an, »aber …«
»Gemälde, die fremde Länder und die dortigen Lebensbedingungen zeigen, sind gerade sehr modern. Dieses hier – wie heißt es?«
Sie deutete auf das größte von Aurelias Werken, das Victoria selbst als das gelungenste empfand.
Das muss man ihr lassen, dachte sie, Kate Wellington ist anstrengend, hat aber Geschmack.
»Nun sag schon!«,
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