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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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diese sich nur unwillig auf den Tausch eingelassen hatte, weil sie, wie immer, unter der Fuchtel der Schwester stand, anstatt eigene Entscheidungen zu treffen.
    »Wir müssen reden!«, erklärte sie streng und packte die beiden Mädchen an den Armen, um sie ins Haus zu ziehen. Noch ehe sie die Schwelle erreicht hatte, kam Cornelio in den Hof gestürzt.
    »Tino ist fort!«, schrie er bang.
    Aurelia erbleichte. »Was heißt hier fort?«
    Cornelio seufzte. »Tino hat gesehen, dass Arturo fortgeritten ist, und da ist er ihm gefolgt. Sein Pferd war nicht im Hof, sondern hinten beim Schafsgatter angebunden. Ich glaube, er will mir zeigen … will mir zeigen …« Er geriet immer mehr ins Stammeln.
    »Er will dir und uns allen zeigen, dass er ein ganzer Mann ist, indem er ganz allein Arturo zurückholt«, schloss Ana an seiner statt und verdrehte die Augen. »Bin ich froh, dass ich nicht mehr jung bin!«
    Rita dagegen machte ein sorgenvolles Gesicht. »Es ist etwas anderes, wenn Arturo dort draußen allein unterwegs ist. Aber Tino ist noch so unerfahren.«
    Aurelia löste sich aus ihrer Starre. »Ich reite ihm sofort nach!«
    Balthasar stellte sich ihr in den Weg. »Das lässt du schön bleiben«, sagte er. »Sollen wir uns um dich auch noch Sorgen machen müssen?«
    Kurz maßen sich die Blicke von Vater und Tochter in einem stummen Machtkampf. »Ich lasse ihn da draußen nicht allein herumreiten!«, rief Aurelia.
    »Jetzt kopflos zu werden hilft aber niemandem.«
    »Ich werde nach ihnen suchen«, schaltete sich schließlich Maril ein. »Niemand kennt das Land besser als ich und reitet schneller.«
    Victoria hatte die Mädchen nicht losgelassen. »Wir reden trotzdem«, verkündete sie, während Ana wieder die Augen verdrehte und erneut ausstieß: »Bin ich froh, dass ich nicht mehr jung bin!«

    Stunde um Stunde verging, ohne dass Arturo und Tino zurückkehrten.
    Aurelia verging fast vor Sorge, und obwohl Victoria sie zu beschwichtigen suchte, malte sie sich selbst die Gefahren aus, die einem knapp Zehnjährigen drohten, der allein in der Pampa unterwegs war – von einstigen Goldgräbern, die sich mit Diebstahl und Entführungen über Wasser hielten, oder den englischen Estancieros, die herumstreunende, junge Männer sofort als Schafdiebe verdächtigten und ohne langes Zögern abknallten.
    All diese Gedanken sprach sie nicht aus. Wenn sie nicht gerade Aurelia beruhigte, dann galt es, mit Rita zu reden und vor allem mit den Zwillingen. Rita gab sich nach außen hin gefasst – die Zwillinge waren schuldbewusst.
    »Warum seid ihr überhaupt auf die Idee gekommen, die Rollen zu tauschen?«, fragte Victoria einmal mehr.
    Clara errötete und wiederholte dann, dass Dora darauf bestanden hätte. »Ich weiß auch nicht, warum«, fügte sie kleinlaut hinzu, »ich glaube, sie will nicht zugeben, dass sie Arturo mag. Und deswegen hat sie ihm diesen Streich gespielt.«
    »Das ist überhaupt nicht wahr!«, fuhr Dora auf.
    Obwohl sie ihre Lippen trotzig zusammenkniff, entging Victoria nicht, dass es zugleich in ihren Augen aufleuchtete. Sie seufzte. Als Doras Stiefmutter hatte sie es wahrlich nicht immer leicht, und dass die Mädchen nun in ein Alter kamen, wo sie die Freuden und Leiden der ersten Liebe durchleben würden, machte es nicht besser. Zugleich dachte sie daran, was Salvador oft gesagt hatte – dass Clara zu sehr unter Doras Einfluss stand und es besser wäre, sie wären zeitweise voneinander getrennt. Aber das war in der Atacamawüste so wenig möglich wie hier.
    »Es tut uns leid«, sagte Clara mit Tränen in den Augen, und obwohl Dora nichts hinzufügte, ahnte Victoria, dass mittlerweile auch sie von Schuldgefühlen gebeutelt wurde, umso mehr, da Aurelia unruhig auf und ab ging und immer wieder rief: »Ich kann nicht ertragen, dass Tino etwas zustößt!«
    »Er ist doch fast schon ein junger Mann. So schnell sind die nicht totzukriegen.« Kaum hatte sie es gesagt, biss sie sich auf die Lippen. Ein Satz, in dem das Wörtchen »tot« vorkam, taugte nur sehr schlecht, Aurelia zu beschwichtigen.
    Weitere Stunden vergingen, ohne dass einer der Bewohner der Estancia Schlaf fand. Die Nacht wich dem Morgengrauen, und die blutrote Sonne wirkte hinter Sandstürmen riesig groß. Der Wind ging so stark, dass die kargen Bäume und Büsche förmlich auf den Boden gedrückt wurden und gekrümmten Gestalten glichen.
    Sie hatten allesamt das Wohnhaus verlassen, gingen fortan im Patio auf und ab. Das Stöhnen des Windes war lauter als

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