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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman
Autoren: Carla Federico
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verzweifelt beeindrucken wollte und das mit der unsichtbaren Kluft haderte, die zwischen ihnen stand. Sie wollte sein wie er – und musste sich trotz all ihrer politischen Überzeugungen und dem Kampf dafür immer wieder sagen lassen, dass sie wie eine feine Dame wirkte, wohingegen er ein Straßenköter wäre.
    Nun hatte er sie erreicht. »Victoria!«, rief er, die Stimme noch berauscht von seiner Rede. »Was, zum Teufel, machst du hier? Hast du mir zugehört?«
    Seine Augen funkelten, als er sie mit seinen Worten förmlich überschüttete. Er gab den Inhalt seiner Rede noch einmal wieder, sprach voller Elan und Überzeugung, ließ sie die Umstehenden völlig vergessen. Erst als er sie plötzlich um die Taille packte und sie sichtlich begeistert hochhob und an sich presste, gesellten sich zu schönen Erinnerungen auch schreckliche. An ihre Verhaftung im Krankenhaus, an die Stunden im Kerker, an Rebecas Verrat und ihre bitterbösen Worte, wonach Jiacinto mit ihr nur gespielt hatte, um ihr das Geld aus der Tasche zu ziehen.
    »Lass mich los!«, knurrte sie mit zusammengepressten Zähnen und war selbst entsetzt über den Hass, der in ihr aufloderte. Am liebsten hätte sie ihm ins Gesicht geschlagen, während er sie langsam auf den Boden stellte und verwirrt anblickte.
    Die Kehle wurde ihr eng, als sie sich blitzschnell abwandte, davonlief, nun endlich den Ausgang erreichte. Sie kam nicht so schnell voran, wie sie wollte, bald hörte sie Schritte hinter sich und konnte nicht verhindern, dass Jiacinto zu ihr aufschloss.
    »Nun bleib doch stehen, lauf nicht weg! Ich bin so froh, dich zu sehen!«
    Sie atmete keuchend, jener glühende Hass wich Ärger – weil er sie nicht einfach gehen ließ und weil sie sich vom Klang seiner Stimme so schnell bestechen ließ.
    »Ich habe doch sonst niemanden mehr …«, fügte er hinzu. Da war nichts Kämpferisches mehr, nur Verzagtes. Als sie ihn musterte, war sein Gesicht so kummervoll, wie sie es noch nie gesehen hatte. Dieser Schmerz, tief und ehrlich, rührte sie noch mehr als die Nachwehen einstiger Liebe.
    »Niemanden?«, fragte sie verwirrt. »Aber was ist mit Rebeca … und Juan?«
    Er senkte seinen Blick. »Rebeca ist tot«, erklärte er tonlos.
    Er fügte nichts hinzu, und Victoria war trotz der Verbitterung über den einstigen Verrat zu entsetzt, um Fragen zu stellen. Blitzartig stiegen Bilder von ihr hoch – vielleicht allesamt von der Phantasie vorgegaukelt, vielleicht berechtigte Ahnung, was geschehen war. Bilder von einer Demonstration, bei der Rebeca mitmischte und in deren Verlauf sie erschossen wurde. Bilder eines Krankenhauses, wo sie arbeitete – nicht aus Leidenschaft, sondern um die Brüder zu beeindrucken – und wo sie sich mit Schwindsucht oder Typhus ansteckte. Bilder von einem blutdurchtränkten Bett, in dem sie lag, während eine Frau mit dreckigen Händen zwischen ihren Beinen stocherte, um einmal mehr eine Abtreibung vorzunehmen, so stümperhaft, dass die Patientin an Sepsis zugrunde ging.
    Ja, so hätte Rebeca sterben können. Und ganz gleich, wie es in Wirklichkeit gewesen war – Victoria war sicher, dass sie ihre letzten Atemzüge damit verschwendet hatte, zu lachen, auf diese verzweifelte, spöttische, bösartige, wahnsinnige Art.
    »Und Juan?«, fragte sie leise.
    »Der lebt noch … und meines Wissens nicht alleine. Als ich damals Chile verlassen musste, hat er sich geweigert, mich zu begleiten. Er hat geheiratet, und seine Frau war gerade mit dem ersten Kind schwanger.«
    Er sagte nicht, ob Juan sich vor oder nach Rebecas Tod verliebt hatte. Wahrscheinlich, so vermutete Victoria, war Zweiteres der Fall gewesen – unmöglich, dass es ihm zu ihren Lebzeiten gelungen wäre, sich aus dem Bannkreis der Geschwister zu lösen. Sie freute sich ehrlich für ihn und hoffte, dass er sich nicht schon zu sehr daran gewöhnt hatte, an der Welt zu leiden und stets zu nörgeln, um es jetzt nicht aufzugeben.
    »Und warum musstest du Chile verlassen?«, fragte sie.
    Jiacinto lachte auf. Es klang spöttisch und ärgerlich zugleich. »Nun, Kommunisten sind dort nicht gerne gesehen …«
    »Seit wann bist du Kommunist?«, rief sie erstaunt. »Du warst immer einer, der gegen alles war – nie für eine bestimmte Sache.«
    »Nun, seit Russland natürlich!«, entgegnete er begeistert.
    Victoria nickte langsam.
    Gewiss, dachte sie zynisch, seit du gesehen hast, dass es dort noch wüstere Straßenschlachten gab als in Santiago.
    Ihr Ärger auf ihn war erloschen,
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