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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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aber der Überdruss war geblieben. Ihr fiel keine weitere Frage ein, und auch er schien nichts von ihr wissen zu wollen, so sagte sie schlicht: »Ich muss nun weiter.« Dann wandte sie sich ab, um zu gehen.
    Zu ihrem Erstaunen trat er ihr entschlossen in den Weg und hielt sie am Arm fest.
    »Aber nicht doch!«, rief er. »Erzähl mir, wie es dir ergangen ist! Ach, Victoria … was soll ich sagen. Ich war damals so unglücklich, als du plötzlich verschwunden bist. Ich konnte nicht fassen, als Rebeca mir sagte, dass du nichts mehr mit uns zu tun haben willst.«
    Er sah zerknirscht wie ein kleiner Junge aus, während Victoria fassungslos die Augen aufriss.
    »Dass ich nichts mehr mit euch zu tun haben will?«, wiederholte sie tonlos seine letzten Worte.
    »Du hast dich nicht einmal von mir verabschiedet«, kam es vorwurfsvoll, ehe er ihr vertraulich zuzwinkerte, »und es war ja nicht so, dass wir uns nicht nahegestanden hätten … irgendwie.«
    »Dass ich nichts mehr mit euch zu tun haben will?«, brachte sie erneut schockiert hervor.
    Noch während sie es sagte, ging ihr die Wahrheit auf, die ganze Wahrheit, und diese Wahrheit war so mächtig, dass sie sich fragte, wie sie je an die Lüge hatte glauben können. Von einem Teil ihrer Seele, von dem sie gar nicht mehr gewusst hatte, dass es ihn noch gab, fiel etwas ab – etwas Dunkles, etwas Hartes, etwas Spitzes. Es tat gut und weh zugleich, rührte an einen uralten Schmerz, vor dem sie davongelaufen war, und linderte ihn zugleich.
    »Du hast es nicht gewusst?«, stieß sie heiser aus.
    Jiacintos Miene blieb zerknirscht. »Was habe ich nicht gewusst?«, fragte er verwirrt.
    Um Victorias Selbstbeherrschung war es geschehen. Sie schrie, als sie antwortete: »Rebeca hat mich hereingelegt! Sie hat mich Espinoza ausgeliefert, so dass ich aus dem Krankenhaus geworfen wurde! Und später hat sie mir gesagt, ihr hättet es nur auf mein Geld abgesehen!«
    Jiacinto schüttelte den Kopf. »Am Anfang war das so, natürlich, aber später … Später habe ich doch gesehen, was für eine Frau du bist. So willensstark, so energisch, so mutig. Ich … ich habe dich bewundert, und als du plötzlich verschwunden bist … Nun, du hast mir gefehlt, unendlich gefehlt, und ich freue mich so, dich wiederzusehen, ich brauchte lange, um …«
    »Sprich nicht weiter!«, fiel sie ihm hart ins Wort.
    Sie wusste – eigentlich sollte sie sich über alles, was er sagte, freuen. Jedes Wort merzte einstige Verbitterung und Enttäuschung aus, dieses klägliche Gefühl, im Stich gelassen worden, ganz allein auf der Welt zu sein. Aber dann erkannte sie: Sie war schon längst nicht mehr verbittert und enttäuscht. Und sie war auch nicht allein auf der Welt.
    »Ach, Jiacinto«, stieß sie aus, und plötzlich war da keine Wut mehr in ihrer Stimme, nur Trauer – nicht die Trauer von einst, als sie wegen des Mannes gelitten hatte, den sie liebte, sondern Trauer, weil sie sich plötzlich nicht mehr sicher war, ob sie wirklich ihn geliebt hatte oder lediglich seine Ideen, seine Ungezähmtheit, seine Wildheit. Sie hatte Mitleid mit der, die sie damals gewesen war – aber Mitleid mit ihm, der sich von seiner eigenen Schwester hatte täuschen lassen, blieb aus.
    »Ach, Jiacinto«, seufzte sie erneut. »Ob du nun Anarchist bist oder Kommunist, du warst immer einer, der an allem gezweifelt hat, der keine vermeintliche Wahrheit hinnehmen wollte. Wenn die Priester vom Wert der Ehe predigten, hast du die freie Liebe propagiert. Wenn die Kapitalisten das Geld zu ihrem Götzen machten, hast du ihnen ihren Besitz stehlen wollen. Wenn die Sozialisten den Staat reformieren wollten, hast du vom Fisch gesprochen, der vom Kopf her stinkt. Moralische Überzeugungen, Ideologien, Werte – sie waren für dich allesamt nichtig! Du hast dich immer als jemanden gepriesen, der an nichts glaubt. Doch ausgerechnet Rebeca hast du geglaubt! Ausgerechnet ihre Worte hast du hingenommen wie ein Gesetz oder einen Glaubenssatz! Warum hast du nicht auch daran gezweifelt? Warum hast du mich nicht gesucht und selbst mit mir geredet?«
    Angesichts seiner Zerknirschung hatte er eben sehr jung gewirkt, nun, da seine Miene zunehmend hilflos wurde, wirkte er alt und verlebt. Er zuckte die Schultern.
    »Ich weiß, warum«, antwortete sie selbst, ehe er etwas sagen konnte. »Du hast ihr geglaubt, weil du immer einer warst, der nur mit seinem Mund geredet hat, nie mit seinen Händen.«
    Er runzelte die Stirn. »Was meinst du damit?«,

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