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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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in Aurelia die Hoffnung, dass Tiago aus der Kutsche steigen würde, doch stattdessen half der Kutscher, der eine grüne Livree trug, einem älteren Ehepaar heraus.
    Es waren ohne Zweifel die elegantesten Menschen, die Aurelia je gesehen hatte. Die Frau, schlank, starr und mit hochmütigem Gesicht, trug ihr dunkles Haar zu einem kunstvollen Knoten geschlungen, den glänzende Kämmchen aus Schildpatt festhielten. Vierreihig war die Perlenkette, die ihren Hals schmückte, weiß der Pelzmantel aus Karakul mit Saumbordüre und einem breiten Schlagkragen aus schwarzem Biberfell. Der Hut, der auf ihrem Haarknoten thronte, war winzig, doch groß genug, um daran den durchsichtigen Schleier aus dunkler Spitze zu halten, der über ihr Gesicht floss. Auf diese Weise waren zwar noch deutlich ihre Züge und der Ausdruck ihrer Augen zu erkennen, doch nicht die womöglich zahlreichen feinen Runzeln und Falten.
    Der Hut des Mannes war ungleich größer – es war ein schwarzer Zylinder, wie ihn die reichen Geschäftsmänner trugen. Schwarz waren auch der Cut und die Hose – einzig der Mantel, der lose über seinen Schultern lag, war in Beige gehalten.
    »Das ist ein Kamelhaarmantel«, erklärte Andrés, der ihrem Blick gefolgt war. »Ein ungemein teurer Stoff – und eigentlich hässlich. Aber wie so vieles andere ist er unverzichtbares Statussymbol – in Großbritannien … wie hier …«
    Großbritannien … Brown … der Mann hier musste Engländer sein. Und offenbar Tiagos Vater, dem Andrés bei einem ihrer ersten Treffen schöne Grüße hatte ausrichten lassen. Eben hatten sie das mächtige Tor erreicht, das ihnen wie von unsichtbarer Hand geöffnet wurde. Ein Dienstmädchen und ein Butler traten heraus – beide livriert wie der Kutscher –, um die Handtasche und den Zylinder der Herrschaften entgegenzunehmen. Aurelia konnte den Gesichtsausdruck der Dame des Hauses nicht erkennen, nur jenen des Herrn, und der blieb völlig ausdruckslos, als er sich an die Dienstboten wandte – gleich so, als wären dies keine Menschen aus Fleisch und Blut, sondern Kleiderständer. Er war völlig blind für sie, und als sie beschämt die Augen senkte und auf ihre eigene Kleidung aus einfachem, rauhem Stoff herabblickte, fragte sie sich unwillkürlich, was geschehen würde, wenn sie diesem Mann gegenübertreten würde. Wahrscheinlich hatte sie noch Glück, wenn er sie lediglich ignorierte – denkbar war auch, dass sie die ganze Verachtung seines hohen Standes treffen würde.
    »Ich verstehe das nicht …«, brach es aus ihr hervor, während das Ehepaar Brown y Alvarados im Haus verschwand. »Ich dachte, Tiago würde sein Geld mit der Malerei verdienen.«
    Andrés verzog seine Lippen. »Ich fürchte, genau betrachtet, ist er kein Maler, zumindest kein sonderlich berühmter.«
    »Aber …«
    »Du weißt nicht, wer die Brown y Alvarados’ sind, nicht wahr?«
    Kleinlaut nickte sie.
    Der Zug um seinen Mund wurde abschätzend. »Weißt du, ich werde von ihnen gerade noch geduldet. Ich bin immerhin studierter Arzt und obendrein der Sohn ihres langjährigen Hausarztes, dem sie vertrauen und dem sie sich verbunden fühlen. Aber ich fürchte, wenn jemand wie du an diese Tür klopft, dann wird man ihn nicht einlassen.«
    Der Boden schien unter ihren Füßen zu wanken. Sie wusste nicht, was schlimmer war – Tiagos Herkunft an sich oder dass er ihr diese verheimlicht hatte.
    Andrés’ Lächeln war plötzlich nicht mehr verschlagen, sondern ehrlich mitleidig, als er fragte: »Du hast dir doch nicht ernsthafte Hoffnungen auf ihn gemacht, Mädchen? Du dachtest doch nicht, dass eine wie du – du bist die Tochter von patagonischen Schafzüchtern, nicht wahr? –, nun, dass eine wie du eine Zukunft mit Tiago Brown y Alvarados haben kann? Die Malerei ist nur sein … Freizeitvergnügen. Das ist seine wahre Welt – und in dieser Welt hast du, fürchte ich, keinen Platz.«

8. Kapitel
    V ictoria wusste zwar, wie eng es in einer Población der armen Leute werden konnte, aber noch nie hatte sie erlebt, dass sich so viele Menschen zwischen den armseligen Hütten drängten. Diese bestanden nur aus zwei Zimmern, waren dicht aneinander aus Bauabfällen gebaut worden und schlossen sich um einen Innenhof, in dem sich Müll häufte und Hühner in winzigen Verschlägen krähten.
    Es war nicht nur unerträglich eng inmitten der vielen Bewohner, der Vertreter von Gewerkschaften und einiger Unruhestifter, die von jeder Art Aufruhr herbeigelockt wurden,

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