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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Jacke an. Anstatt ihre Frage zu beantworten, rief er mit dem zuvorkommendsten Lächeln: »Ich bringe dich natürlich gerne zu ihm!«
    Sein Enthusiasmus erstaunte Aurelia, aber sie nickte schweigend, war erleichtert, dass er ihr helfen würde – und noch erleichterter, dass sie nach den vielen Fußmärschen nicht noch länger gehen musste. Nachdem er bezahlt hatte und sie das Café verlassen hatten, winkte Andrés eine Droschke heran und nannte eine Adresse, die Aurelia noch nie gehört hatte. Sie wollte nicht fragen, wo Tiago lebte, und somit vor Andrés zugeben, dass sie nicht auch nur die geringste Ahnung davon hatte, doch so eindringlich, wie er sie anstarrte, schien ihm nicht zu entgehen, was hinter ihrer Stirn vorging.
    Gönnerhaft erklärte er: »Die Wohlhabenden Santiagos haben ihre Häuser auf der anderen Seite der Alameda gebaut – in die Calles República oder Dieciocho. In diese Richtung fahren wir.«
    Auch diese Namen hatte Aurelia noch nie gehört – desgleichen wie sie Tiago zwar für einen erfolgreichen Maler, aber nie für sehr wohlhabend gehalten hatte. Andrés’ Stimme hatte einen hellen, freundlichen Klang angenommen, aber instinktiv erwachte ihr Misstrauen. Ganz gleich, wie hilfsbereit er sich ihr gegenüber erwies – meinte er es wirklich gut mit ihr?
    Sie hielt ihren Blick starr aus dem Fenster gerichtet und sah, dass sie den Barrio Alto erklommen, wo eine hochherrschaftliche Residenz neben der anderen errichtet war, weiß, blau oder gar in schrillem Gelb.
    Ihr Unbehagen wuchs, ohne dass sie benennen konnte, woher es rührte, und wurde noch größer, als die Droschke plötzlich vor einem dieser Häuser hielt.
    »Hier sind wir!« Andrés lachte triumphierend, denn ihm war nicht entgangen, dass ihre Augen weit aufgerissen waren. »Dies hier ist das Haus der Familie Brown y Alvarados.«
    Brown y Alvarados?
    Aurelia brachte kein Wort hervor. Schweigend stieg sie aus und konnte ihren Blick nicht von diesem prächtigen Anwesen lassen. Gewiss, sie hatte in Santiago schon viele Häuser gesehen, die alles, was je in Patagonien erbaut worden war, mühelos in den Schatten stellten – aber dies hier war nicht einfach nur ein Haus, obwohl es Andrés als solches bezeichnet hatte, sondern vielmehr ein Palast.
    An der Vorderfront zogen ein riesiges schmiedeeisernes Tor und viele runde Fenster aus Buntglas die Aufmerksamkeit auf sich. Mächtige Säulen stützten das vorgelagerte Dach, Efeu kroch die weiß gekalkten Wände hoch.
    »Dies ist der Haupteingang«, erklärte Andrés vergnügt und zeigte auf das Tor, »aber selbstverständlich haben solche Anwesen gleich mehrere Eingänge. Schließlich betreten es die Dienstboten nicht auf dieselbe Weise wie die hohen Herren.«
    Die hohen Herren?
    Aurelias Mund war zu trocken, um etwas hervorzubringen. Ganz dicht stellte sich Andrés neben sie und raunte ihr ins Ohr. »Wenn es dir jetzt schon als riesengroß erscheint, so warte erst, bist du es betrittst: Große Stadthäuser wie diese haben oft drei Höfe. Der erste Hof dient als öffentlicher Bereich, um Gäste zu empfangen, der zweite ist der private Rückzugsort für die Familie, und um den dritten herum befinden sich die Wirtschaftsräume und die Zimmer der Bediensteten.«
    Aurelia zögerte. So wie sie war auch Andrés auf der Straße stehen geblieben und machte keine Anstalten, auf das Tor zuzutreten und anzuklopfen, obwohl er als Tiagos Freund doch ein häufiger Gast hier sein musste. Offenbar wollte er es ihr überlassen und lächelte ihr aufmunternd zu, ganz so, als bemerke er nicht, wie erschüttert sie war.
    »Ich … ich …«, stammelte sie. Sie atmete tief durch. »Ich wusste nicht, dass Tiago aus einer so reichen Familie stammt.«
    »Aber du hast doch sicher schon von den Brown y Alvarados’ gehört!«, rief Andrés nachsichtig.
    Aurelia dachte fieberhaft nach. Als Tiago ihr damals gesagt hatte, dass er mit Nachnamen Alvarados hieß, war ihr der Klang dieses Namens fremd gewesen. Von einem »Brown« war nie die Rede gewesen – und das konnte kein Zufall sein. Er musste ihr mit Absicht einen Teil seines Familiennamens verschwiegen haben – um vor ihr zu verheimlichen, wer er wirklich war.
    Aurelia sank das Herz, doch ehe sie etwas sagen konnte, kam eine Kutsche vorgefahren. Unwillkürlich wich sie zurück und versteckte sich hastig im Schatten eines Busches, der die hochherrschaftliche Straße säumte. Andrés hielt sie nicht auf, sondern folgte ihr mit amüsiertem Lächeln. Kurz erwachte

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