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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Jiacintos blitzendem Gesicht, dass es eher die Lust an der Gewalt war, die ihn so beherzt hatte einspringen lassen. Als versprachen nicht ein halbes Dutzend sich windender, balgender, schlagender Männerleiber genug an Aufruhr, begann im gleichen Augenblick die Erde zu erzittern. Und plötzlich waren Pferdegetrampel, Geschrei und einzelne Schüsse zu hören.
    Victoria stand zu geduckt, um etwas zu sehen, kämpfte sich dann aber durch das Gemenge und erreichte, nachdem sie schmerzhaft einige Ellbogen in die Seite bekommen hatte, ein Plätzchen, wo sie sich auf die Zehenspitzen stellen konnte. Von allen Seiten schien sie zu kommen – die »Weiße Garde«, wie die berittene Polizei Santiagos genannt wurde, allesamt mit Gewehren bewaffnet und nicht zögernd, diese auf die Menschen zu richten.
    Offenbar hatten sie die Demonstration aus der Ferne beobachtet. Dass einige sich nunmehr prügelten, sahen sie als Eskalation der Gewalt – und als ausreichenden Grund, einzuschreiten und den Protest niederzuschlagen.
    Ganz dicht an Victorias Ohren ertönte ein Schuss, sie zuckte zusammen, duckte sich, und als sie sich aufrichtete, stand Juan an ihrer Seite und zog sie mit sich.
    »Sieh zu, dass du von hier wegkommst!«, schrie er gegen den Lärm an. »Die Polizei von Chile ist die schießwütigste von ganz Südamerika.«
    Victoria folgte ihm ein paar stolpernde Schritte lang, entzog ihm dann jedoch den Arm und hielt nach Jiacinto und Rebeca Ausschau. »Ich gehe nicht ohne sie.«
    Juan schüttelte Kopf. »Spiel nicht die Heldin! Ich war beim großen Streik in Santiago vor fünf Jahren dabei. Damals gab es zweihundert Tote. Und heute, da bin ich mir sicher, werden wieder welche sterben. Wenn erst einmal die Gewalt losbricht …«
    »Aber Jiacinto und Rebeca …«
    »… die werden sich selbst zu helfen wissen!«
    Er versuchte, sie wieder zu packen, aber sie widersetzte sich weiterhin, und so ließ er sie kopfschüttelnd stehen, um sich in Sicherheit zu bringen. Victoria drehte sich um, suchte nach den vertrauten Gesichtern, bekam Fäuste und noch mehr Ellbogen zu spüren. Vor ihr ertönte ein Knall – eine der Frauen hatte mit ihrem Kochtopf auf einen Polizisten eingeschlagen, den eine andere von seinem Pferd gezerrt hatte. Er war schnell wieder auf den Beinen und streckte die Frau mit einem Knüppel nieder. Victoria schrie auf, als sie sah, wie er ihn wieder und wieder auf sie hinabsausen ließ, obwohl sie längst reglos am Boden lag. Ehe sie einschreiten konnte, war Jiacinto zur Stelle, packte den Polizisten von hinten und drückte ihm mit aller Macht die Kehle zu. Der Mann strampelte hilflos, konnte sich aber nicht befreien.
    Victoria starrte ihn voller Entsetzen an. Ganz gleich, was dieser Mann getan hatte – Jiacinto konnte ihn doch unmöglich töten!
    Bevor sie ihm etwas zuschreien konnte, verstellten ihr Köpfe die Sicht, und als sie wieder freie Sicht hatte, waren Jiacinto und der Polizist verschwunden. Stattdessen lief ein grunzendes Schwein durch die Menge, das aus seinem Stall hatte fliehen können. Eine Frau, offenbar seine Besitzerin, lief ihm nach und verteilte Hiebe an alle, die sich ihr entgegenstellten – und da das Schwein an Victoria vorbeiraste, auch an sie.
    Sie krümmte sich ob des schmerzhaften Schlags in ihren Bauch. Ihre Augen tränten, ihre Haare hingen wirr über das Gesicht. Kurz, ganz kurz hatte sie das Gefühl, fehl am Platz zu sein, sehnte sich nach dem Krankenhaus, nach Valentina, nach Aurelia … Was tue ich hier nur, schoss es ihr durch den Kopf, was tue ich?
    Als sie sich endlich wieder aufrichten konnte, drängte alles in ihr zu Flucht. Doch dann sah sie Rebeca, wieder inmitten von Männern, diesmal jedoch Polizisten, die sie gepackt hatten und auf den Boden zwangen. Offenbar war sie so dumm gewesen, mit bloßen Fäusten auf sie loszugehen, und trotz der ausweglosen Lage lachte sie aus voller Kehle.
    Nie hatte sich Victoria vor ihr so gegraut, nie war sie von ihrem unbeugsamen Willen zugleich so fasziniert gewesen.
    Rebecas Blick fiel auf sie. »So hilf mir doch!«, schrie sie. Es klang nicht verzweifelt, eher herausfordernd.
    Victoria vergaß ihre Furcht und die Schmerzen im Magen. Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht, und im nächsten Augenblick, sie konnte sich nicht daran erinnern, danach gegriffen zu haben, hielt sie Franciscos Pistole in der Hand und zielte auf die Polizisten.

    Immer noch stand Aurelia im Schatten dieses mächtigen Hauses, immer noch wagte sie nicht, sich

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