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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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vom Leib gerissen hätte, um sie nackt zu sehen und zu beschämen, und zugleich, um sie in edlere Stoffe zu hüllen.
    Ihm entfuhr ein Seufzen, und Aurelia, die ihn bis jetzt nicht wahrgenommen hatte, zuckte zusammen und blickte hoch. Er freute sich diebisch über ihren etwas ängstlichen Gesichtsausdruck. In den letzten Wochen hatten sie sich beide immer sehr höflich und distanziert verhalten. Keiner hatte auf das angespielt, was damals vor dem Haus der Familie Brown y Alvarados passiert war, aber es fiel Aurelia schwer, ihm in die Augen zu sehen, und irgendwie genoss er es: dass er zum ersten Mal seit langem mit ihr allein war. Und dass sie ihn scheute.
    Rasch senkte sie ihren Blick. »Tiago ist nach Hause gefahren. Er versucht, mit seiner Mutter zu sprechen.«
    Da wird er nicht viel Glück haben, dachte Andrés zufrieden, da er doch um Alicias Terminplan wusste. Er sagte aber nichts, sondern trat näher. Flüchtig streifte sein Blick das gemeinsame Bett, und einmal mehr stellte er sich vor, was in den Nächten darin passierte.
    »Soso … er versucht seine Mutter gnädig zu stimmen …«
    »Sie scheint ihm näherzustehen als sein Vater. Ihr Wohlwollen ist ihm wichtig.«
    »Ach was!«
    Sein Tonfall war so herablassend, dass sie ihn nun doch verwirrt ansah.
    »Ich glaube, er tut das aus Berechnung. Weil am Ende eine Versöhnung mit Alicia wahrscheinlicher ist als die mit seinem Vater.«
    »Aber er leidet wirklich darunter …«
    »Natürlich leidet er! Aber spar dir die romantischen Vorstellungen, die du dir von ihm gemacht hast! Tiago ist genauso berechnend wie jeder andere Mensch. Gewiss, er hat sich in dich verliebt und glaubt nun, für diese Liebe einen gerechten Kampf auszufechten. Aber im Grunde ist er reichlich bequem. Sein Leben lang hat er alles bekommen, was er wollte. Echte Hindernisse musste er nie aus dem Weg räumen, und ich glaube, würde er jemals vor einem solchen stehen, würde er einknicken wie ein Halm im Wind. Zwar hat er manchen Streit mit seinem Vater ausgefochten, hat gegen dessen Willen durchgesetzt, dass er die Escuela besuchen kann. Aber nie ist es hart auf hart gekommen. Nie hat er sich wirklich überlegen müssen, was es heißt, arm zu sein.«
    Aurelia schwieg betreten.
    »Soll ich dir etwas sagen? Guillermo ist ein Spieler – aber Tiago auch. Er spielt nur damit, ein Außenseiter zu sein und nicht zur Oberschicht zu gehören – in Wahrheit nutzt er alle Privilegien seines Rangs. Sonst hätte man ihn nie auf der Escuela aufgenommen – und das weiß er auch.«
    Kurz sah er in ihrem Blick Bestürzung aufblitzen, die seine Worte bestätigte, aber dann straffte sie den Rücken und erklärte entschlossen: »Es ist besser, du gehst jetzt.«
    Andrés rieb seine Hände. Vielleicht wäre es tatsächlich besser, sie allein zu lassen. Aber er konnte nicht auf das Vergnügen verzichten, ihr zuzusetzen … und ihr nahe zu sein.
    »Warum? Weil ich die Wahrheit sage? Und dir diese Wahrheit nicht gefällt? Glaubst du denn wirklich, du hast gewonnen? Oh, deine Ehe nützt dir gar nichts, solange sie nicht von einem Pfaffen gesegnet wurde. Tiago wird sich eine Weile mit dir vergnügen und den Rebellen mimen, aber dann wird er dich fallenlassen und zurück unter seines Vaters Rockzipfel kriechen. Eine zivilrechtliche Ehe lässt sich rasch scheiden.« Er schluckte. »Er glaubt, dass er für dich kämpft. Aber Menschen wie er haben nie richtig zu kämpfen gelernt. Ich kann kämpfen. Ich würde dich nie fallenlassen.«
    Während er sprach, war er unmerklich näher gekommen. Er sah, wie sie sich an die Lehne des Stuhls presste, und lächelte. Dann beugte er sich vor. Er hatte es nicht geplant, aber plötzlich konnte er nicht anders, als ihre Hand zu nehmen. Sie versuchte, sie ihm zu entziehen, doch sein Griff blieb fest.
    »Du kommst aus dem Nichts, Mädchen, und wenn du dich auf Tiago verlässt, wirst du bald wieder dorthin verschwinden«, raunte er. »Ich hingegen … ich hingegen würde immer zu dir stehen.«
    Er beugte sich noch weiter vor. Ganz dicht waren seine Lippen vor ihren. Sie wich zurück, drehte den Kopf so weit wie möglich zur Seite. Als seine Lippen zwar nicht ihren Mund, aber ihren Hals streiften, hob sie die freie Hand, um ihn zu schlagen, doch er hielt sie rechtzeitig fest.
    »Was ist?«, spottete er. »Hast du auf der patagonischen Schaffarm nicht gelernt, wie man den Widder an den Hörnern packt?«
    Beide Hände hielt er nun fest, küsste sie wieder, diesmal auf die Wangen,

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