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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Möricke. Er hat schon wieder eine neue Operationsmethode angewandt, die Haematocele Retrouterina, bei der …«
    »Wenn du solche Begriffe benutzt, werden die feinen Damen der Gesellschaft nicht sonderlich beeindruckt sein. Die armen rachitischen Kinder dagegen …«
    Andrés fuhr hoch: »Dir selbst sind diese armen rachitischen Kinder doch auch völlig gleichgültig!«, brach es aus ihm hervor.
    Sein Vater machte sich nicht einmal die Mühe, es zu leugnen. »Alicia Alvarados wird bei dem Wohltätigkeitsbasar gewiss auch anwesend sein.«
    »Ich verstehe dich nicht!«, rief Andrés. »Du selbst hast mir eingeredet, Tiago und Aurelia Unterschlupf zu bieten. Wir waren beide bei ihrer Trauung dabei. Das ist doch ein Schlag ins Gesicht der Brown y Alvarados’. Und jetzt willst du dennoch, dass ich mich bei ihnen einschmeichle?«
    »Gott, Andrés!« Eine steile Falte erschien auf Ramiros Stirn. »Gib dich nicht so begriffsstutzig! Menschen wie unsereins ist es nicht vergönnt, sich nur für eine Seite zu entscheiden. Wir dürfen keine Brücken abreißen. Gewiss musst du dafür sorgen, dass Tiago dein Freund bleibt – aber zugleich sollte William Brown wissen, dass du auch ihn verstehst. Tiago musst du erklären, wie ungerecht seine Eltern sind – Alicia jedoch, dass du Tiagos Entscheidung nie und nimmer gutheißen wirst. Auf diese Weise bleiben wir der Familie verbunden – ganz gleich, wie der Streit ausgeht.«
    Andrés schluckte. Seit nunmehr vier Wochen lebten Tiago und Aurelia im Haus, zwei davon als Frischverheiratete. Immer wieder musste er sich vorstellen, was wohl hinter den Türen des gemeinsamen Schlafzimmers geschah. Einmal hatte er sich sogar dorthin geschlichen und gelauscht. Er hatte nichts gehört, war hinterher dennoch hochrot im Gesicht gewesen.
    Wenn er die beiden ansah, wusste er nicht, was größer war – die versteckte Lust bei Aurelias Anblick oder der versteckte Hass auf Tiago. Vielleicht galt dieser Hass gar nicht so sehr Tiago, der sich derart dreist mit seinem Vater anlegte, sondern sich selbst, weil er das nie wagen würde. Vielleicht war der Hass in Wahrheit auch Neid – Neid auf Tiago, weil der seinen Willen durchsetzte, und auch ein bisschen Neid auf Aurelia, die einfach nur heiraten musste, um aufzusteigen, während sein Vater sich dafür jahrzehntelang in der Kunst der Diplomatie, der Heuchelei, des Ränkeschmiedens üben musste.
    »Gerade deswegen ist es doch besser, ich bin heute nicht dabei«, erklärte Andrés schnell, weil er einen Ausweg gefunden hatte, die unangenehme Pflicht von sich zu weisen. »Ich meine, wenn du William oder Alicia siehst, könntest du dich offen von mir distanzieren, könntest erklären, wie unangenehm es ist, dass Tiago und Aurelia unter diesem Dach leben und dass du es nur meinetwegen zulässt.«
    Ramiro nickte nachdenklich.
    »Zugleich könntest du ihnen vermitteln, dass es Tiago gutgeht. Insgeheim wird Alicia das gerne hören.«
    Eigentlich war er sich nicht sicher, ob es etwas gab, was Alicia gerne tat oder hörte. Die Frau war steif wie ein Stock. Aber Ramiro war von seinem Argument überzeugt. »Vielleicht hast du recht, und du bleibst hier. Aber verschwende die Zeit nicht im Labor – du solltest lieber mit Tiago und Aurelia zusammen sein.«
    Andrés lauschte, wie die Schritte seines Vaters sich langsam entfernten. Allein aus Trotz wäre er gerne erst recht im Labor sitzen geblieben, doch am Ende war es nicht nur Ramiros Wunsch, der ihn dazu trieb, es zu verlassen, sondern die eigene Sehnsucht, Aurelia zu sehen, sich an ihrem Anblick zu laben … und sich davon zugleich vernichtet zu fühlen.
    Wie er es hasste, wenn Tiago ihre Hand hielt und sie streichelte! Wie er es hasste, wenn sie sein Lächeln beseelt erwiderte! Und wie er seinen Blick dennoch nicht von ihr lassen konnte!
    Nun, heute blieb ihm die äußerste Prüfung erspart. Nachdem er an der Tür zu ihrem Gemach geklopft hatte und eintrat, stellte er fest, dass sich Aurelia allein in dem großen, edel eingerichteten Raum aufhielt und versunken zeichnete. Sie hatte ihn nicht kommen gehört; ihr Blick war starr auf den Skizzenblock gerichtet, während ihr Stift mit Windeseile darüberfuhr.
    Andrés wurde der Mund trocken. Wie weich sich wohl ihre Haut anfühlte, jene Haut, die er zugleich küssen und schlagen wollte. Wie perfekt wohl ihre Glieder waren – unter jenen ärmlich anmutenden Kleidern … Kleider einer Tochter patagonischer Schafzüchter, Kleider, die er ihr am liebsten

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