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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Trauer erdrückt.
    Aurelia fühlte sich immer unwohler. Sie hielt ihren mageren Besitz in beiden Armen – rechts die Mappe mit ihren Bildern, links ihre Tasche mit der Kleidung. Sie war sich nicht sicher, ob sie beides auf den Boden stellen sollte – und auch nicht, ob Alicia überhaupt bemerkt hatte, dass Saqui sie zu ihr gebracht hatte.
    Doch plötzlich fing diese zu sprechen an. »Ich wäre gerne Nonne geworden … Bei den unbeschuhten Karmeliterinnen von Los Andes.«
    Aurelia schwieg verwirrt und konnte die Worte nicht deuten: Wollte ihr Alicia damit erklären, warum sie einen eigenen Hausaltar hatte und so viel betete? Oder sollte ein solch persönliches Bekenntnis einfach nur Nähe und Vertrauen schaffen?
    Alicia legte den Rosenkranz in ein kleines Kästchen und erhob sich. Jede Bewegung fiel formvollendet und elegant aus.
    »Als mein Vater meine Ehe mit William arrangiert hat, war daran natürlich nicht mehr zu denken.«
    Sie sagte es leichtfertig, als hätte es sie nicht sonderlich gestört, den ursprünglichen Lebensplan aufzugeben, aber ihr Blick war stechend, als sie hochblickte und Aurelia musterte. Vielleicht sprach aus ihren Worten Neid, weil Aurelia, anders als sie, den Mann heiraten konnte, den sie liebte.
    Sie trat auf Aurelia zu, nahm ihr die Tasche mit der Kleidung ab und trat zu dem großen, mächtigen Himmelbett. Dann öffnete sie die Tasche und begann, Aurelias Kleidung darauf auszubreiten – die schlichten Blusen, die einfachen Röcke, das dunkle Kleid. Kurz ließ sie jedes Stück durch ihre schmalen Finger gleiten wie eben noch den Rosenkranz, und Aurelia fühlte sich beschämt und entblößt zugleich.
    »In unserer Familie war es bis dahin eigentlich üblich, nur Ehen unter Vettern zu schließen«, fuhr Alicia fort. »Aber in meinem und Williams Fall machte mein Vater eine Ausnahme.« Sie zögerte, drehte sich dann zu ihr um. »Weißt du überhaupt, wer William ist?«
    Aurelia schwieg. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Alicia wirklich eine Antwort erwartete.
    »Die Browns«, fuhr sie prompt selbst fort, »gehören zur Elite der britischen Gesellschaft und Wirtschaft: ähnlich wie Randolph Churchill oder Lockett und Nathan Rothschild.«
    Aurelia kannte die Namen nicht, nickte aber beflissen.
    »William war jedoch einer der jüngeren Söhne seines Vaters. Er ging nach Chile, weil er etwas Eigenes schaffen wollte. Er war häufiger Gast im Hause meines Vaters.«
    Sie machte eine Pause, als läge diese Zeit zu lange zurück, um sich noch an Einzelheiten erinnern zu können. Schließlich erzählte sie mit ausdruckslosem Gesicht und gleichgültiger Stimme die Geschichte ihrer Familie, der stolzen Alvarados’, die aus dem spanischen Toledo stammten, schon mit Pedro de Valdivia nach Chile gekommen waren und zu den Gründungsvätern Santiagos gehörten. Mehrmals wäre die Stadt von blutrünstigen Indianern zerstört worden, aber sie hätten nicht aufgegeben – weder mit dem Kämpfen noch mit dem Bauen. In den ersten Generationen galt es, das eigene Überleben zu sichern, später die Unabhängigkeit von Spanien zu erlangen. Irgendwann war man zu reich und zu vornehm – die Indianer fast ausgerottet und das Band zu Spanien auf ewig zerstört –, um noch kämpfen zu müssen. Gebaut wurde weiterhin – wenn auch keine Stadthäuser und Kirchen in Santiago, sondern Haciendas auf dem Land, Minen im Norden, Fabriken in der Zentralsenke.
    »Ich war die älteste Tochter meines Vaters. Ich war überhaupt das älteste Kind, was für meine Mutter eine große Schande war. Gute Frauen gebären zuerst Söhne. Nach meiner Geburt hat sie lange geweint, dann meinen Vater um Vergebung gebeten und schließlich vor der Jungfrau Maria ein Gelübde abgelegt. Sie hat versprochen, dass ich Nonne werden würde, und sie hoffte, dass Maria gnädig gestimmt war und ihr als nächstes Kind einen Sohn schenken würde.«
    Aurelia war verwirrt. Hatte Alicia nicht eben erst gesagt, dass sie selbst ins Kloster hatte gehen wollen? Oder hatte sie sich nur dem Gelübde der Mutter verpflichtet gefühlt? Sie wagte nicht, nachzufragen.
    »Nun, auch ihr zweites und drittes Kind waren Mädchen – und Mädchen sind nicht nur eine Schande für ihre Mütter, sondern bedeuten Verlust von Geld für ihren Vater. Schließlich müssen sie mit einer hohen Mitgift ausgestattet werden. William dagegen brauchte kein Geld, er hatte genug davon. Was ihm fehlte, war ein ehrwürdiger Namen und die Achtung der altehrwürdigen spanischen

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