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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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wirst Praktika machen, viele Praktika. Du beginnst bei Konrad Meyerhoff – das ist ein deutscher Unternehmer, der diverse Güter, die in Chile produziert werden, nach Europa verkauft: Keramik, chemische Erzeugnisse, Butter und Käse, Seife und Schuhe, Weizen und braunes Papier, Glas und Flaschen.«
    Tiago versuchte, ihm seine Hand zu entziehen, doch der Griff war unerbittlich. »Vater, ich studiere Malerei. Das ist meine Leidenschaft.«
    William sah ihn an und zugleich an ihm vorbei: »Wie viele Leidenschaften musste ich aufgeben?«, fragte er.
    Sein Gesicht wirkte plötzlich so fremd, weil es so verletzlich schien. Hinter dem steifen, kontrollierten William kam ein ganz anderer zum Vorschein – jener junge Mann, der sich in seinen ersten Jahren in der Fremde manchmal verloren gefühlt hatte. Der unfähig gewesen war, das Herz seiner Frau Alicia zu gewinnen, denn man hatte ihm beigebracht, wie man Geld vermehrte, nicht wie man Liebe gab und empfing. Jener Mann hatte stets die Neigungen seiner Söhne bekämpft – Guillermos Vorliebe für den Exzess, ob beim Autofahren, Spielen oder Trinken, und Tiagos Sehnsucht nach Freiheit und Schönheit, aber vielleicht hatte er auch sich selbst bekämpft, weil er einmal andere Träume gehabt hatte, als in einem so reichen, aber dunklen Haus zu sitzen.
    »Komm zurück, Tiago! Nimm Guillermos Platz ein!«
    Tiagos Kehle wurde noch enger. Seine Furcht vor den Fesseln, die William ihm eben anlegte, war sehr groß. Aber noch größer war die Furcht, diese Fesseln abzuwerfen und auf der Straße zu stehen, mittellos und ohne besondere Fähigkeit.
    Er erhob sich und atmete tief ein.
    »Ich werde die Malerei aufgeben«, murmelte er. »Aber nicht Aurelia.«
    Er sah, wie es hinter Williams Stirn arbeitete. Tiefer Widerwille stritt dort mit Berechnung, Standesdünkel mit Pragmatismus.
    »Du weißt, wir haben zivilrechtlich geheiratet«, fuhr Tiago fort. »Wenn ich zurückkehre in den Schoß dieser Familie, wenn ich Guillermos Platz als dein Haupterbe einnehmen soll – dann werde ich das nur mit ihr an meiner Seite tun.«
    William richtete sich auf, erhob sich und begann, langsam auf und ab zu gehen. Mit jedem Schritt schien er zu wachsen und zugleich wieder steifer zu werden. Als er sich umdrehte, stand keine Trauer mehr in seinem Gesicht, keine Verlorenheit, keine unterdrückte Sehnsucht.
    »Ich weiß, wann es sich zu feilschen lohnt und wann nicht«, sagte er schließlich und fügte plötzlich befehlend hinzu: »Ihr beide werdet im feierlichen Rahmen noch einmal kirchlich heiraten.«
    Tiago seufzte erleichtert. Er hatte nicht erwartet, dass er so schnell, so kampflos seine Ziele erreichen würde. Erst verspätet ging ihm auf, wie hoch der Einsatz war, den er erbrachte.
    Nachdenklich runzelte William seine Stirn. »Sie ist das Kind von Deutschen, nicht wahr? Daraus können wir etwas machen.«
    »Was … machen?«
    »Wir erklären, dass sie die Erbin einer großen Kompanie in Patagonien ist … Die Leute werden zwar tuscheln, aber verstehen, warum sie ihren Namen noch nie gehört haben. Wer interessiert sich schon für Patagonien? Auf diese Weise vertuschen wir, dass ihre Eltern einfache Schafzüchter sind. Und wenn sie die richtige Kleidung trägt und deine Mutter sie auf die Gesellschaft vorbereitet, dann kann sie sich doch benehmen, ohne peinlich aufzufallen, oder?«
    Er sprach zwar über Aurelia, aber Tiago hatte das Gefühl, als spräche er zugleich über ihn. Kannst du deine Pflicht erfüllen? Kannst du dich benehmen?
    William trat auf ihn zu und starrte ihm ins Gesicht.
    Tiago senkte seinen Kopf. »Wir werden dich nicht enttäuschen, Vater.«

    Alicia war im Gebet versunken und machte keine Anstalten, sich von dem Betschemel vor ihrem Hausaltar zu erheben, als Saqui Aurelia zu ihr brachte. Unsicher blieb Aurelia an der Tür stehen. Sie war so froh und erleichtert gewesen, dass Tiago sich gestern mit seinem Vater versöhnt und dieser nun bereit war, sie als Frau seines Sohnes zu akzeptieren – deswegen wollte sie keinesfalls einen Fehler machen.
    Durch Alicias schmale Finger glitt ein Rosenkranz, ihre Lippen bewegten sich lautlos. Vorsichtig trat Aurelia näher und hielt jedes Mal den Atem an, wenn unter ihrem Schritt der Boden knarrte. Alicia war blass, aber das war sie auch bei ihrer ersten Begegnung gewesen; sie trug Schwarz, aber auch das hatte sie damals getragen. Sie erweckte nicht den Eindruck, als hätte sie geweint, und ihre Schultern schienen nicht von der Last der

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