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Im Schatten des Fürsten

Im Schatten des Fürsten

Titel: Im Schatten des Fürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim Butcher
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erschließen ließ und dem er vormachte, er sei nur zu Besuch in der Stadt und wollte sich das Bauwerk gern anschauen. Der Legionare hatte sehr freundlich geantwortet und Tavi den Weg erklärt, wobei seine Wegbeschreibung nur ganz am Rande beeinträchtigt wurde durch seine leicht lallende Aussprache. Anschließend waren Tavi und Kitai durch die Straßen der Hauptstadt geschlichen und bemühten sich dabei, Festlichkeiten wie die in der Handwerksgasse zu meiden.
    Jetzt standen sie auf einem Aquädukt, das von einer Quelle in den Bergen außerhalb der Stadt Wasser zu den grünen Feldern und den Wehrhöfen in der Umgebung führte. Weiter unten teilte es sich in mehrere Leitungen auf, die das saubere Wasser zu einem Dutzend unterschiedlicher Speicher brachten. Von hier aus konnte Tavi die beinahe unmerkliche Neigung des Aquädukts erkennen, das zum Teil über ganze Viertel hinwegging, wo man aus den Rinnen, die auf imposanten Bogen ruhten, das unaufhörliche Gurgeln des Wassers hörte. Sie setzten den Weg fort, und nur wenige hundert Schritte vor ihnen führte das Aquädukt genau zwischen dem Hauptquartier der Civis-Legion und dem Grauen Turm hindurch.
    Kitai blickte ihn über die Schulter an, ohne dabei den Schritt zu verlangsamen. Weder der kalte Abendwind noch der schmale
und vom Wasser rutschige Steinsteg, der am Rand der Rinne verlief, schienen ihren Optimismus zu beeinträchtigen. »Soll ich langsamer gehen?«
    »Nein«, erwiderte Tavi gereizt. Er versuchte, sich auf ihr Ziel zu konzentrieren und den Gedanken zu verdrängen, wie leicht man hier zu Tode stürzen konnte. Und wie demütigend das wäre. »Immer nur voran.«
    Kitai zuckte mit den Schultern, grinste selbstgefällig und wandte sich wieder nach vorn.
    Während sie sich dem Turm näherten, hatte Tavi die Gelegenheit, ihn genau zu betrachten. Es handelte sich um ein überraschend einfaches Gebäude, das einem Turm noch nicht einmal sonderlich ähnlich sah. Tavi hatte sich ein ebenso elegantes wie düsteres Bauwerk vorgestellt, das von einer bedrohlichen Aura umgeben war und aus dessen höchsten Fenstern sich die Gefangenen in ihrer Verzweiflung in den Tod stürzten. Doch das Gebäude unterschied sich kaum vom Hauptquartier der Legion nebenan. Es war ein Stückchen höher, hatte schmale Fenster und nur wenige Türen. Der Turm war ringsum von Rasen umgeben, und die Grasfläche wiederum wurde von einer Palisade begrenzt. Am Tor im Zaun standen Wachen, weitere an den Eingängen, und außerdem gingen sie außerhalb des Grundstücks Streife.
    »Sieht … nett aus«, murmelte Tavi. »Eigentlich gar nicht so unangenehm.«
    »Es gibt kein Gefängnis, das nicht unangenehm wäre«, gab Kitai zurück. Unvermittelt blieb sie stehen, und beinahe wäre Tavi mit ihr zusammengestoßen, was zu einer Katastrophe hätten führen können. Es gelang ihm, das Gleichgewicht zu halten. Unten zog eine Gruppe Sänger durch die Straße entlang des Aquädukts. Alle trugen eine Kerze und hatten gemeinsam eine der traditionellen Weisen angestimmt, wie man sie an den Feiertagen gerne sang.
    Kitai beobachtete sie aufmerksam.

    »Magst du Musik?«
    »Ihr singt immer so falsch«, sagte Kitai, während sie mit neugierig leuchtenden Augen die Gruppe betrachtete. »Das muss man ganz anders machen.«
    »Wie meinst du das?«
    Sie winkte ab. »Bei meinem Volk singt man das Lied auf den Lippen. Manchmal viele Lieder gemeinsam. Jeder, der singt, webt sein Lied in das, das schon da ist. Mindestens drei, sonst lohnt es sich gar nicht. Aber ihr Aleraner singt nur eins, und alle singen es genau gleich.« Sie schüttelte verwirrt den Kopf. »Es muss doch todlangweilig sein, das einzuüben.«
    Tavi grinste. »Aber was dabei herauskommt, gefällt dir?«
    Kitai beobachtete die Gruppe, die langsam außer Sicht geriet, und sie antwortete sehnsüchtig: »Ihr macht es nicht richtig.«
    Damit setzte sie sich wieder in Bewegung, und Tavi folgte ihr, bis sie auf Höhe des Grauen Turms gelangt waren. Tavi schaute über die Kante des steinernen Aquädukts. Hier ging es gute fünfzig Fuß in die Tiefe bis zu dem festgetrampelten Übungsplatz der Legion, der bis an die Mauer des Turms reichte. Von den Bergen herab wehte ein frischer böiger Wind, und Tavi musste sich rasch wieder zurücklehnen, um nicht hinunterzufallen. Er zwang sich, hinüber zum Turm zu sehen und den Blick in die Tiefe zu meiden.
    »Das muss fünfzig Fuß tief sein«, sagte er leise zu Kitai. »Nicht einmal du kannst über diese Entfernung

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