Im Schatten des Fürsten
Geruch von Wanderer ihr im Dunkeln hervorragend half, den Marat zu finden.
»Amara«, sagte Doroga. Er hatte sich an Wanderers Flanke gelehnt.
»Bist du bereit?«, fragte Amara ihn.
»Mhm. Habe ihn nur ganz leicht bepackt. Bist du sicher, dass du das tun willst?«
»Nein«, erwiderte sie. »Aber was im Leben ist schon sicher?«
Doroga grinste, seine weißen Zähne leuchteten. »Der Tod«, sagte er.
»Wirklich ermutigend«, gab sie trocken zurück. »Danke.«
»Gern geschehen«, sagte er. »Hast du Angst vorm Tod?«
»Du etwa nicht?«, fragte sie.
Der Marat legte den Kopf nachdenklich zur Seite. »Früher schon. Heute … Ich weiß nicht genau. Niemand ahnt, was danach kommt. Aber wir glauben, der Tod ist nicht das Ende. Und wohin auch immer der Pfad führt, mir sind schon viele vorangegangen. Die werden mir Gesellschaft leisten.« Er verschränkte die kräftigen Arme vor der Brust. »Meine Gefährtin, Kitais Mutter. Und nach unserem Kampf gegen die Vord viele von meinem Volk. Freunde. Familienangehörige. Manchmal glaube ich, es wäre doch schön, sie wiederzusehen.« Er schaute hinauf zum trüben Mond. »Aber Kitai ist noch hier. Deshalb möchte ich so lange wie möglich bei ihr bleiben. Vielleicht braucht sie ihren Vater noch, und es wäre verantwortungslos, sie allein zu lassen.«
»Ich glaube, ich werde mir ebenfalls alle Mühe geben, nicht zu sterben«, sagte Amara. »Obwohl … meine Familie wartet dort auch auf mich.«
»Dann ist es gut, wenn du heute Nacht neben mir reitest«, sagte Doroga. Er wandte sich um, packte das schwere, geflochtene Seil und stieg hinauf auf Wanderers Rücken. Danach beugte er sich vor, warf ihr das Seil zu und streckte ihr grinsend die Hand entgegen. »Gleichgültig, was passiert, wir haben etwas, worauf wir uns freuen dürfen.«
Amara lachte und ließ sich hinter Doroga auf der gewobenen Sattelmatte nieder. Der Gargant bewegte sich unruhig von einer Seite zur anderen. In den Holzfässern, die seitlich am Sattel angebracht waren, gurgelte Flüssigkeit.
Doroga gab Wanderer das Zeichen, loszugehen, und das riesige
Tier stapfte langsam und leise zu den Legionares , die sich gerade in Reihen aufstellten. Amara schaute zu, wie Giraldi sie im Mondschein mit dem Stab in der Hand inspizierte. Diesmal hielt sich der Zenturio jedoch mit dem gewohnten Spott und mit Zurechtweisungen zurück. Aufmerksam wies er zwei Legionares auf Mängel hin. Die Männer selbst sprachen und scherzten nicht, und sie verdrehten auch nicht wie sonst im Stillen die Augen. Alle waren angespannt und konzentrierten sich auf die vor ihnen liegende Aufgabe. Sie hatten natürlich Angst - nur Narren kannten keine Angst, und wenn diese erfahrenen Legionares eines nicht waren, dann Narren. Aber sie waren Berufssoldaten, aleranische Legionares , das Ergebnis einer tausend Jahre währenden Tradition, und die Angst war ein Gegner, dem sie sich nie und nimmer ergeben würden.
Giraldi sah zu Amara hoch, als sich der Gargant leise näherte, und schlug den Stab zum Gruß vor die Brust. Amara nickte ihm zu, und der Gargant blieb bei Bernard und den letzten Rittern stehen - jeweils einem halben Dutzend Erde und Holz, von denen zwar keiner über solche Fähigkeiten verfügte wie Janus oder Bernard, die jedoch gute Soldaten waren und schon lange in der Legion dienten. Auf Schilde hatten sie verzichtet. Die Holzwirker trugen dicke Bogen, und die Erdwirker waren mit schweren Keulen und Hämmern bewaffnet. Nur der junge Ritter Frederic hatte sich für einen Spaten entschieden.
Bernard blickte nach oben zu Amara und Doroga. »Fertig?«
Doroga nickte.
»Zenturio?«, fragte Bernard in den Schatten hinter sich.
»Fertig, Herr«, erwiderte Giraldi leise.
»Abmarsch«, sagte Bernard und beschrieb mit der Hand einen Kreis über dem Kopf, der damit endete, dass er in Richtung Nest zeigte.
Der Gargant schwankte hin und her, als er lostrabte, offensichtlich ganz ohne ein Signal von Doroga bekommen zu haben. Amara hörte das leise Knarzen der Lederstiefel und einmal ein
Klappern, als vermutlich ein Schildrand gegen ein Stück von einer Rüstung schlug, ansonsten bewegten sich die Legionares und Ritter in völliger Stille. Sie sah sich um und konnte kaum die vorderste Reihe der Legionares erkennen, obwohl die nur ein Dutzend Schritte entfernt war. Mit Hilfe unterschwelligen Holzwirkens verschwanden die Männer in der Dunkelheit.
Amaras Herz begann zu klopfen, als sie sich dem gespenstisch grünen Licht des Kroatsch näherten.
Weitere Kostenlose Bücher