Im Schatten des Fürsten
»Sie machen Besessene. Sie vermehren sich. Das ist alles, was sie tun.«
Bernard sah zu der Vord-Königin, die nun in einer unnatürlich starren Haltung verharrte und wartete. »Ich werde mit ihr sprechen«, sagte er.
Die Falten auf Dorogas Stirn vertieften sich, und er wandte den Blick von der Vord-Königin ab. »Nicht weise.«
»Solange sie sich mit mir unterhält«, erwiderte Bernard, »führt sie keinen Angriff gegen uns. Wenn ich uns mit Reden Zeit erkaufen kann, wird sich das am Ende vielleicht auszahlen.«
»Doroga«, sagte Amara. »Diese Königinnen sind gefährlich, oder?«
»Gefährlicher als die Krieger«, antwortete Doroga. »Schnelligkeit, Stärke, Klugheit. Und Zauberei, wenn man ihr zu nahe kommt.«
Amara runzelte die Stirn. »Was für eine Zauberei?«
Doroga starrte das Vord völlig unbesorgt an. »Sie kann die Vord befehligen, ohne sprechen zu müssen. Sie kann leere Abbilder
erscheinen lassen, die gar nicht da sind. Glaube nichts, was du siehst, wenn eine Vord-Königin in der Nähe ist.«
»Dann darfst du das Risiko nicht eingehen, Bernard«, warnte Amara.
»Warum nicht?«
»Weil Giraldi verwundet ist. Wenn dir etwas zustößt, fällt der Befehl an mich, und ich bin kein Soldat. Wir brauchen dich als Anführer, schon deshalb darfst du dich nicht in Gefahr begeben.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich gehe.«
»Bei den Krähen, ganz bestimmt nicht«, fauchte Bernard. Amara hob die Hand. »Es ist das einzig Sinnvolle. Ich kann für uns sprechen. Und offen gesagt: Von uns beiden habe ich mehr Erfahrung darin, Gespräche zu lenken und Antworten herauszukitzeln.«
»Wenn Doroga Recht hat und es sich um eine Falle handelt …«
»Dann kann ich im Gegensatz zu dir viel leichter fliehen«, hielt sie dagegen.
»Doroga«, knurrte Bernard, »red ihr diesen Unsinn aus.«
»Sie hat Recht«, erwiderte Doroga. »Sie ist schnell genug, um einer Falle zu entgehen.«
Bernard starrte Doroga böse an. »Danke.«
Doroga lächelte. »Ihr Aleraner benehmt euch wirklich eigenartig, wenn es um eure Weibchen geht. Amara ist doch kein Kind, das man beschützen muss. Sie ist eine Kriegerin.«
»Danke, Doroga«, sagte nun Amara.
»Eine dumme Kriegerin, wenn sie da hinausgeht«, fügte Doroga hinzu, »aber eine Kriegerin. Außerdem: Wenn sie geht, kannst du mit deinem Bogen hierbleiben. Wenn die Königin eine falsche Bewegung macht, schießt du.«
»Genug«, sagte Amara. Sie warf ihren Mantel zurück, damit ihr Schwertarm nicht behindert wurde, lockerte die Klinge in der Scheide und trat aus der Höhle ins Licht der Elementarlampen. Ungefähr zehn Fuß vor der Vord-Königin blieb sie stehen, und zwar weit genug seitlich, damit Bernard freies Schussfeld hatte.
Schweigend betrachtete sie die Vord-Königin einen Augenblick lang. Währenddessen stand dieses fremde Wesen vollständig still. Es regte sich nicht, verfolgte lediglich jede ihrer Bewegungen mit leuchtenden Augen.
»Du wolltest reden«, sagte Amara. »Also bitte.«
Der Kopf der Vord-Königin drehte sich in der Kapuze, die Augen verengten sich zu Schlitzen. »Dein Volk sitzt in der Falle. Ihr könnt nicht fliehen. Ergebt euch, erspart euch weitere Qualen.«
»Wir ergeben uns nicht«, entgegnete Amara. »Greift uns ruhig an, wenn ihr wollt. Und sobald der Kampf beginnt, werden wir keine Gnade walten lassen.«
Die Vord-Königin legte den Kopf schief. »Du glaubst, euer Erster Fürst wird Truppen schicken, die euch helfen. Das ist ein Irrtum.«
Die Selbstsicherheit, mit der das Vord sprach, erschütterte Amaras Zuversicht. Dennoch verzog sie keine Miene und antwortete: »Du irrst dich.«
»Nein. Wir irren uns nicht.« Die Vord-Königin bewegte sich, und der Mantel wallte auf, wie er es bei einem Menschen nie getan hätte. »Euer Erster Fürst ist dem Tode nahe. Dein Volk wird bald entzweit sein und gegeneinander Krieg führen. Ihr erhaltet keine Hilfe.«
Amara starrte die Vord-Königin einen Moment lang an, während sie spürte, wie die Angst in ihr wuchs. Abermals hatte die Königin mit unbeirrbarer Sicherheit gesprochen. Wenn sie die Wahrheit sagte, mussten die Vord an mehreren Orten gleichzeitig am Werke sein. Also hatte die dritte Vord-Königin tatsächlich, wie Doroga befürchtete, die Hauptstadt erreicht.
Einige andere Teile fügten sich nun ebenfalls ins Bild, und Amaras Entsetzen wuchs weiter. Das Winterend-Fest wurde von den meisten Adligen des Reiches besucht. Öffentliche Siege während Winterend waren umso wertvoller, und öffentliche
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