Im Schatten des Fürsten
die Arme.
Sie wollte etwas einwenden, doch er küsste sie von Neuem. Ganz am Rande bekam sie mit, wie er sie zu einer kleinen Nische führte, die jemand im hinteren Teil der Höhle gewirkt hatte, und die mit Legionsmänteln und einer Wand aus aufgestellten Schilden abgeteilt war. Denn eigentlich waren ihre Sinne ganz auf Bernard gerichtet, auf seine Wärme und die sanfte Kraft seiner Hände und das Klopfen seines Herzens. Er küsste sie, er zog sie aus, und sie klammerte sich an ihn, frierend und voller Verlangen nach seiner Wärme, voller Sehnsucht danach, die Hitze mit ihm in der Dunkelheit zu teilen.
Eine Zeit lang gab es keine tödlichen Kämpfe mehr, kein Warten
auf den Feind. Keine sichere Vernichtung, die draußen in der Nacht lauerte. Es gab nur noch ihre Körper und ihre Küsse und die Zärtlichkeiten und die geflüsterten Worte. Mochte ihr Leben auch nicht mehr lange dauern, so hatte sie zumindest dieses eine Mal seine Wärme, seinen Trotz, seine Lust erlebt.
Es war beängstigend, es war wundervoll.
Und es genügte ihr.
36
Isana erwachte von den Schmerzen und einem Gefühl der Beengtheit. In ihrer Seite brannte ein dumpfes Feuer. Sie kämpfte gegen etwas Weiches an, das sie umschloss, und erst nach einigen Sekunden konnte sie entkommen. Und dann dauerte es immer noch eine Weile, bis sie zu Sinnen gekommen war und begriff, dass sie auf einem Bett mit klumpiger Matratze in einem abgedunkelten Zimmer lag.
»Licht«, murmelte eine männliche Stimme, und eine rosa Elementarlampe auf einem abgestoßenen Kartentisch an der Wand erwachte zu trübem Leben.
Isana wollte sich aufsetzen, doch der Schmerz flammte heftig auf, weshalb sie lieber verzichtete und nur den Kopf drehte, bis sie den gedungenen Mörder sah, der auf einem Stuhl vor der Tür saß. Sie starrte den Mann mittleren Alters einen Moment lang an, und er erwiderte den Blick aus verschleierten Augen, der sie auf eigenartige Weise aus der Fassung brachte. Sie brauchte einen Moment, bis sie den Grund dafür begriff: Sie konnte keinerlei Gefühle bei ihm spüren. Ihre Kräfte als Wasserwirkerin brachten
den Fluch mit sich, dass sie unablässig die Empfindungen anderer Menschen wahrnahm - doch bei ihm spürte sie anstelle von Gefühlen nur Leere. Er verbarg seine Emotionen vor ihr, und zwar besser, als es selbst Tavi je gelungen war.
Isana starrte den Mann an, betrachtete seine Miene, seine Augen und suchte nach einem Hinweis auf seine Gefühle und seine Absichten. Nichts. Genauso gut hätte er aus kaltem Stein bestehen können.
»Nun«, fauchte sie. »Warum bringst du die Sache nicht einfach zu Ende?«
»Welche Sache denn?«, fragte er zurück. Seine Stimme klang milde und passte bewundernswert zu seiner unauffälligen Erscheinung.
»Du hast sie getötet«, sagte sie ruhig. »Die Wagenfahrer. Nedus. Und Serai.«
In seinen Augen funkelte es, und kurz spürte sie einen Anflug des Bedauerns bei ihm. »Nein«, antwortete er leise. »Aber den Bogenschützen, der Serai erschossen hat. Und der auf dich geschossen hat.«
Isana sah an sich herab und stellte fest, dass sie nur noch mit dem seidenen Unterhemd bekleidet war, das sie unter ihrem Kleid getragen hatte. Es war an der Stelle, wo sie verletzt worden war, blutbefleckt, und an der Seite aufgeschlitzt, weil jemand die Wunden gesäubert und verbunden hatte. Sie schloss die Augen, rief Bächlein und tastete sich durch ihren Körper zu der Verletzung vor. Es hätte viel schlimmer kommen können. Der Pfeil hatte Fleisch und Fettgewebe und Muskeln durchbohrt, aber keine inneren Organe versehrt. Der Mann hatte den Schaft fachmännisch entfernt und die Blutung gestillt.
Sie schlug die Augen wieder auf. »Warum sollte ich dir glauben?«
»Weil es die Wahrheit ist«, antwortete er. »Als ich den Bogenschützen entdeckt habe, war es für Serai bereits zu spät. Das tut mir außerordentlich leid.«
»Ach«, meinte Isana trocken.
Fidelias zog eine Augenbraue hoch. »Ja, tatsächlich. Ich habe sie sehr geachtet, und ihr Tod war sinnlos. Ich habe den Mann getroffen, als er gerade auf dich geschossen hat, Wehrhöferin.«
»Wodurch du mir das Leben gerettet hast?«, fragte Isana. »Da sollte ich mich wohl bei dir bedanken.«
»Vermutlich würdest du mich lieber umbringen«, meinte Fidelias. »Nach allem, was vor zwei Jahren in Calderon geschehen ist.«
»Du meinst, als du versucht hast, meine Familie, mein Hofvolk und meine Nachbarn zu ermorden.«
»Ich musste meine Pflicht erfüllen«, sagte Fidelias.
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