Im Schatten des Fürsten
der Garten im Winterschlaf, doch allmählich begann er zu erwachen. Die ersten Knospen der Frühblüher und der drei sorgfältig beschnittenen Bäume öffneten sich. Wie beim Haus erwuchs die Schönheit des Gartens ebenfalls aus seiner bescheidenen Anlage. An drei Seiten von dem dreigeschossigen Haus eingefasst, an dessen Mauern Rankpflanzen über silbrigen Marmor kletterten, fühlte man sich wie auf einer Lichtung in einem dichten Wald, nicht wie in einem winzigen freien Flecken Land mitten in der Großstadt. Die Bienen schwärmten noch nicht, und auch die meisten Vögel waren von ihrer jährlichen Reise noch nicht zurückgekehrt. Allerdings konnte es nicht mehr lange dauern, bis an diesem Ort wieder fröhliches Leben herrschen würde.
Schon immer war der Frühling Isana die liebste Jahreszeit gewesen, und ihr Frohsinn übertrug sich dann auf andere. Da Isana die Gefühle ihrer Familie gut empfinden konnte, ganz ungeachtet der Jahreszeit, spürte sie auch deren Glück.
Dieser Gedanke erinnerte sie an Bernard. Ihr Bruder marschierte geradewegs auf eine große Gefahr zu, begleitet von Männern des Wehrhofes, die sie schon den Großteil ihres Lebens kannte. Heute würde er auf Aric-Hof eintreffen, vielleicht war er bereits da angekommen. Und morgen würden sie sich möglicherweise schon der Gefahr stellen müssen, die von den Vord ausging.
Isana dagegen war dazu verdammt, in diesem Garten zu sitzen und dem Plätschern des eleganten Marmorbrunnens zu lauschen.
Sie erhob sich und schlenderte hin und her, während Serai den Laufburschen Antonin für seine Dienste mit fünf glänzenden Kupferböcken entlohnte. Der Junge steckte die Münzen ein, verneigte sich vor Isana und Serai und zog sich leise aus dem Garten zurück. Serai schaute ihm hinterher, bis er verschwunden war, setzte sich dann auf den Brunnenrand und nahm ihr Stickzeug wieder auf. »Du wirst noch das Gras platt trampeln, Schätzchen.«
»Es dauert zu lange«, erwiderte Isana. »Wir müssen etwas unternehmen.«
»Tun wir doch«, gab Serai beruhigend zurück. »Unser Gastgeber, Ritter Nedus, hat bereits an den entscheidenden Stellen verlauten lassen, dass du eine Audienz wünschst.«
»Vor Stunden schon«, sagte Isana. »Es kann doch nicht so schwierig sein. Wie lange braucht es denn, darauf zu antworten?«
»Die Winterend-Zeremonien sind ein großes Ereignis, Wehrhöferin. Tausende Cives besuchen die Hauptstadt, und hunderte von ihnen bitten aus dem einen oder anderen Grund um eine Audienz. Es ist eine große Ehre, während der Festlichkeiten von Gaius empfangen zu werden.«
»Aber mein Fall liegt doch ganz anders«, fauchte Isana. »Er hat mich hergebeten. Und du bist seine Gesandte.« Serai warf ihr einen warnenden Blick zu und sah anschließend zum Haus. Isana fühlte sich dumm und verlegen. »Es ist etwas anderes«, wiederholte sie.
»Ja, gewiss«, antwortete Serai. »Unglücklicherweise ist der Stab des Ersten Beraters nicht eingeweiht. Und nur über ihn führt der Weg zum Ersten Fürsten.«
»Und am Ende werden wir vielleicht nicht vorgelassen«, sagte Isana. »Wir sollten unser Anliegen persönlich vortragen.«
»Isana, erst heute Morgen hat ein gedungener Meuchelmörder versucht, dich umzubringen. Wenn du dieses Haus verlässt, besteht die Gefahr, dass du die Zitadelle nicht lebend erreichen wirst.«
»Ich bin bereit, dieses Risiko auf mich zu nehmen«, entgegnete Isana.
»Ich nicht«, meinte Serai ruhig. »Wie dem auch sei, es wäre trotzdem nicht der Weg, auf dem man zum Ersten Fürsten von Alera vorgelassen wird, Wehrhöferin. Wenn wir tun, was du vorschlägst, würde man uns überhaupt nicht beachten.«
»Dann würde ich beharrlich bleiben«, sagte Isana.
Serais Finger bewegten sich behände. »In dem Fall würde man uns in Gewahrsam nehmen und nicht vor Ende des Festes freilassen. Wir müssen uns in Geduld üben.«
Isana presste die Lippen aufeinander und sah Serai einen Moment lang an. Dann zwang sie sich, zum Brunnen zurückzugehen. »Bist du sicher, dass es der schnellste Weg ist?«
»Nicht nur der schnellste«, erwiderte Serai. »Es ist auch der einzige.«
»Wie lange müssen wir denn noch warten?«
»Nedus hat Freunde und Verbündete in der Zitadelle. Wir sollten bald eine Antwort erhalten.« Sie legte ihre Handarbeit nieder und lächelte Isana an. »Möchtest du vielleicht ein wenig Wein?«
»Nein danke«, sagte Isana.
Serai trat zu einem kleinen Tisch in einer Gartennische, auf dem Gläser und eine Kristallkaraffe
Weitere Kostenlose Bücher