Im Schatten des Fürsten
sagte Serai und runzelte nachdenklich die Stirn. Sie sah Isana an. »Wir müssen nun andere Wege beschreiten, um ihn zu erreichen. Gefährlichere Wege.« Sie öffnete ein kleines Täschchen an ihrem Gürtel, zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier heraus und reichte es Isana.
»Was ist das?«, fragte die Wehrhöferin.
»Eine Einladung«, antwortete Serai. »Fürstin Kalare veranstaltet heute Abend ein Gartenfest.«
Nedus zog die buschigen Augenbrauen hoch. »Bei den Krähen, Frau. Wie bist du an eine Einladung gelangt?«
»Ich habe sie geschrieben«, verkündete die Kurtisane gleichmütig. »Fürstin Kalares Handschrift ist leicht nachzuahmen.«
Nedus lachte schallend. »Gefährlich. Sehr gefährlich.«
»Ich will nicht zu einem Fest«, meinte Isana. »Ich will zum Ersten Fürsten.«
»Wenn wir weder eine Audienz vereinbaren noch deinen Neffen erreichen können, müssen wir es auf andere Weise versuchen. Jeder der Hohen Fürsten hat einmal jährlich eine Audienz beim Ersten Fürsten, und das gilt auch für den Senator Primus, den Regus des Handelskonsortiums und die Führerin der Dianischen Liga. Die meisten, wenn nicht gar alle, werden bei dem Fest anwesend sein.«
Isana runzelte die Stirn. »Du willst einen von ihnen überreden, uns zu seiner Audienz mitzunehmen?«
»Das wäre nicht so ungewöhnlich«, meinte Serai. Unter normalen Umständen hättest du gar nicht das Recht, mit dem Ersten Fürsten zu sprechen, aber nachdem wir einmal bis zu Gaius vorgedrungen sind, sollte es uns gelingen, unser Anliegen vorzutragen.«
»Sehr gefährlich«, sagte Nedus.
»Warum?«, erkundigte sich Isana.
»Gaius’ Feinde werden ebenfalls auf dem Fest sein, Wehrhöferin.«
Isana holte tief Luft. »Ich verstehe. Du glaubst, jemand könnte die Gelegenheit nutzen, um mich zu ermorden.«
»Denkbar«, bestätigte Serai. »Fürst und Fürstin Kalare werden ja als Gastgeber ganz gewiss da sein. Kalare hat sich gegen Gaius und die Dianische Liga gestellt, und vermutlich steckt er hinter den Anschlägen auf dein Leben. Und die politischen Ansichten des Fürsten und der Fürstin von Aquitania dürftest du bereits kennen, oder?«
Isana ballte die Hand zur Faust. »Sicher. Sie werden ebenfalls anwesend sein?«
»Mit großer Wahrscheinlichkeit«, meinte Serai. »Die Hohen Fürsten, die Gaius am treuesten ergeben sind, regieren die Schildstädte im Norden. Nur selten kommt mehr als einer zum Fest, und dieser Winter hat den Norden besonders hart getroffen.«
»Du meinst, es wird niemand dem Fest beiwohnen, der Gaius unterstützt und mich beschützt.«
»Höchstwahrscheinlich«, bestätigte Serai.
»Besteht die Möglichkeit, zu Gaius vorzudringen, wenn wir zu diesem Fest gehen?«
»Eine geringe«, erwiderte Serai ehrlich. »Aber sie besteht. Und nicht zu vergessen das Wohlwollen, das dir die Dianische Liga entgegenbringt. Sie hat lange warten müssen, bis eine Frau in die Civitas aufgenommen wird, die sich nicht entweder durch eine Heirat oder durch den Dienst in der Legion ausgezeichnet hat. Es liegt in ihrem Interesse, dich zu beschützen und zu unterstützen.«
Nedus knurrte: »Soll die Liga sie auf der Straße in die Mitte nehmen, damit kein Meuchelmörder zu ihr vordringen kann?«
Isana spürte, wie ihre Hände zitterten. Sie drückte sie an die Stirn. »Und wir können auf andere Weise nicht zu Gaius gelangen?«
»Kurzfristig jedenfalls nicht«, entgegnete Serai. »Bis Winterend vorüber ist, sind die Aussichten eher schlecht.«
Isana überwand ihre Angst und ihre Sorgen. Sie musste ihre Nachricht überbringen, ungeachtet aller Gefahren, selbst wenn sie ihr Leben aufs Spiel setzte. Das Winterend-Fest dauerte noch mehrere Tage. Tavi befand sich vielleicht jetzt schon in Gefahr und ihr Bruder ebenfalls. Sie durfte keine Zeit verschwenden und konnte auf keinen Fall noch tagelang warten.
»Also gut«, sagte Isana. »Es scheint, wir müssen zu einem Fest gehen.«
17
Am späten Nachmittag kehrte Fidelias aus einer der unwirtlicheren Gegenden von Alera Imperia zurück, wo er von seinen Quellen Wissenswertes erfahren hatte. Er trat aus den labyrinthischen Gängen der Tiefen in den Weinkeller des großen Stadthauses der Fürsten von Aquitania. Es war eine Erleichterung, endlich an einem Ort zu sein, wo sich nicht alle neugierigen Augen sofort auf ihn richteten. Sofort stieg er die Dienstbotentreppe bis ins oberste Stockwerk des Hauses hinauf, in dem sich die verschwenderisch prächtigen Gemächer des Hohen Fürsten von
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