Im Schatten des Klosters - Historischer Roman
zu können. Hilflos machte er die Geste nach.
»Du meinst …?«
»Dass Albo weg ist!«, brüllte der Mönch plötzlich. »Beim heiligen Lupus!« Hastig bekreuzigte er sich wegen seines Fluchs.
Rinaldo starrte den riesigen Mönch an und hoffte, dass er kein so dummes Gesicht machte, wie er sich fühlte. Was wollten sie ihm hier anhängen? Die Erinnerung an Ser Maffei und wie sie alle mit den Fingern auf ihn gezeigt hatten schwappte in ihm hoch, und mit ihr ein plötzlicher Schub von Panik.
»Ich schwöre, ich habe mit diese Albo nicht einmal geredet!«, blökte er.
»Also, diese Bruder Frederico hat gesagt, du sollst zu mir …?«
»Dieser Bruder«, verbesserte Ulrich erschöpft. »Und er heißt Fredegar.«
»Aber woher er kennt mich?«
»Er kennt dich nicht. Er hat mir geraten, mir einen Führer zu nehmen, wenn ich nach Köln gehe, und …«
»Ein guter Rat«, bemerkte der Wirt. »Weißt du noch, was passiert ist, als du damals …«
»Hast du nichts in der Küche zu tun?«
»Für wen?« Der Wirt machte eine weit ausholende Handbewegung über die leeren Tische und Bänke hinweg. Rinaldo versuchte zu schlucken, doch sein Magenknurren war schneller. Der Mönch – Bruder Ulrico? – grinste, was seine Miene aufhellte und eine Landschaft aus Lachfalten um seine Augen entstehen ließ. Rinaldo sah es mit Befriedigung; er hatte gelernt, in Gesichtern zu lesen und war nicht erstaunt, dass unter der grimmigen Maske, die Bruder Ulrico bisher aufgesetzt hatte, dieser freundliche Ausdruck zum Vorschein kam. Dich hat der Himmel geschickt, dachte er. Tante grazie, sanctissimi apostoli!
»Für ihn«, sagte Bruder Ulrico und deutete auf Rinaldos Magen. »Und für das Gesetz der Gastfreundschaft.«
»Das hat der kleine Kerl schon bis zur Grenze ausgereizt«, brummte der Wirt. »Deshalb hab ich dich ja auf ihn aufmerksam gemacht.«
Rinaldo machte ein schuldbewusstes Gesicht und schwieg. Bruder Ulrico zuckte mit den Schultern. »Und Sankt Albo sei Dank, dass er es getan hat, sonst könnte er mir nicht beistehen. Also, komm deiner Pflicht nach, wenn ich bitten darf.«
Der Wirt brummelte etwas Unverständliches und stand ächzend von der Bank auf. Auf Bruder Ulricos Einladung hin hatten sie sich alle an den Tisch gesetzt, an dem Rinaldo sich befunden hatte. Rinaldos magere Gestalt wurde im Sitzen noch kleiner, weil das Kneifen im Rücken sich besser aushalten ließ, wenn er einen Buckel machte; der Mönch ihm gegenüber schien über ihm aufzuragen wie eine Felsklippe. Doch nun, da Rinaldo die Lachfalten in den Augenwinkeln gesehen hatte, hatte dieser schroffe Fels seine Bedrohlichkeit verloren und war zu einer großen grünen Eiche geworden, in deren Schutz man sich begeben konnte.
»Wie gut kennst du dich in Köln aus?«
»Wie in meine eigen Satteltasche«, log Rinaldo.
»Es kann gefährlich werden.«
»Du bist eine ehrliche Weggefährte«, sagte Rinaldo demütig; er war überzeugt, vor der ungefährlichsten Aufgabe seines Lebens zu stehen. Den dicken Mönch in die Stadt begleiten … aufpassen, dass er nicht aus Versehen in der Kotrinne ausrutschte und hineinfiel … nach einem alten Knochen suchen, den sein Dieb wahrscheinlich voller Hast auf dem Reliquienmarkt der Stadt anbieten und der ihnen deshalb in den Schoß fallen würde … ein bisschen um den Preis feilschen … ein Geheimabkommen mit dem Anbieter schließen, das Rinaldo einen Anteil am Gewinn sicherte … und den Mönch wieder nach Hause bringen, wo dieser für den Rest seiner Tage über dieses haarsträubende Abenteuer berichten würde.
»Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Gott hatte Rinaldos Gebete erhört und ihm jemanden gesandt, der ihn sicher durch die Stadttore brachte. Als erfreuliche Nebenwirkung verschaffte ihm diese Aufgabe noch genügend Zeit, sich in Köln nach einem neuen Brotgeber umzusehen. Und wenn es wieder eine Anstellung in einem Freudenhaus war – nun, Köln war die größte Stadt des Deutschen Reiches. Wenn er die Augen nur gut genug offen hielt, würde er ein Bordell finden, das dem in Mailand in nichts nachstand.
»Keine Problem«, hörte Rinaldo sich sagen. Bruder Ulrico musterte ihn, dann lächelte er wieder.
Andererseits durfte er die Aufgabe auch nicht zu sehr auf die leichte Schulter nehmen. Dieser Mönch war kein schlechter Herr, und entgegen Rinaldos Erwartung hatte er nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als Rinaldo ihm gestand, womit er bisher sein Brot verdient hatte. Offenbar war er auf jemanden gestoßen, für
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