Im Schatten des Klosters - Historischer Roman
die Kette war tatsächlich sehr fein gearbeitet. Wenn der abgerissene Kerl bis zu diesem Punkt nicht gelogen hatte, dann stimmte wohl auch alles andere … Aber warum hatte er nicht gleich damit herausgerückt, welchen Schatz er mit sich trug?
Weil er nicht in der nächstbesten dunklen Gasse einen Prügel auf den Kopf bekommen wollte, darum.
Für eine Haarsträhne der heiligen Ursula ließ sich wahrscheinlich ein Preis irgendwo zwischen zwanzig und einem kleinen Vermögen erzielen. Der Händler musterte die spröde kleine Locke und rechnete im Kopf.
»Also gut, heute ist dein Glückstag, Herr Pilgerfahrer. Ich gebe dir vier.«
»Der Preis ist jetzt gestiegen«, sagte der Ritter.
Der Händler biss sich vor Wut auf die Zunge. »Wohin?«, fragte er.
»Nun, ich würde sagen …« Der Ritter stockte plötzlich, und sein Grinsen erlosch. Er blinzelte angestrengt. Zuerst dachte der Händler, jemand hätte ihm etwas zugerufen; dann erkannte er, dass es ein innerer Ruf sein musste, auf den der Ritter aufmerksam geworden war. Das Lächeln kehrte für einen winzigen Augenblick in seine Mundwinkel zurück, weniger siegessicher als zärtlich, dann erlosch es erneut. Er streckte die Hand aus, und der Händler ließ das Medaillon widerwillig zurück in die Pranke des anderen gleiten. Der Ritter betrachtete das Schmuckstück, als sähe er es zum ersten Mal im Leben.
»Äh … wie hoch ist der neue Preis?«
»Es gibt keinen neuen Preis. Das Medaillon ist unverkäuflich.«
»Was? Bist du verrückt geworden? Ich meine … Herr, überleg doch mal. Du wolltest doch vier dafür haben. Hier hast du vier.« Der Händler kramte in seiner Gürtelbörse. Halbierte und geviertelte Münzen glitten durch seine Finger. Hastig rechnete er zusammen.
»Es ist unverkäuflich.«
»Aber du bist doch zu mir gekommen und hast …« Der Händler verstummte. Er sah, dass der große Kerl das Medaillon mit der freien Hand streichelte.
»Es war ein Irrtum«, sagte der Hüne und wandte sich ab.
»Warte doch mal!«
Der Pilgerfahrer bewegte sich durch die Menschenmenge, vorbei am Stand des anderen Händlers mit dem grünen Mantel, den er keines Blickes würdigte. Nach ein paar weiteren Schritten bog er um eine Ecke und war verschwunden. Der Händler knirschte mit den Zähnen. Wenn der Kerl glaubte, den Preis auf diese Weise in die Höhe treiben zu können, würde er ihm was erzählen, sobald er morgen wiederkam. So ein verdammter Bursche! Das Handeln musste er von den Heiden dort unten gelernt haben, er schien ja lange genug bei diesen Gottlosen gewesen zu sein … Sollte er versuchen, ihm nachzulaufen? Vielleicht wurde der Kerl ja doch schwach, wenn man ihm auf der Stelle fünf oder sechs bot …? Oder er wurde noch vorsichtiger und noch gieriger. Außerdem ließ sich nicht feststellen, wohin er sich gewandt hatte.
Ach, hätte er ihm doch die fünf Pfennig gegeben, die am Anfang gefordert waren! Dann wäre er jetzt im Besitz einer Reliquie der heiligen Ursula! Was hätte er für einen Gewinn damit machen können! Und selbst wenn er sie nicht verkauft hätte, wenn er sie für sich behalten hätte … welche heilige Macht hätte er unter seinem Dach beherbergt! Die Leute hätten darum gebeten, in sein Haus eintreten zu dürfen! Geld hätte man dafür verlangen können!
Der Händler versetzte seinem Karren einen Tritt, dass die darauf gehäuften Waren in die Höhe hüpften. Der Konkurrent mit dem grünen Mantel sah neugierig zu ihm herüber. Der Händler streckte ihm die Zunge heraus. Grünmantel streckte zurück.
Und dabei hatte der Tag so gut angefangen.
Kapitel 7.
Z uerst hatte der Tag mit dem Aufruhr angefangen, und dann schien er nicht mehr in die Gänge zu kommen. Rinaldo saß mit knurrendem Magen in dem kleinen Saal im Erdgeschoss der Unterkunft, die als Refektorium für die weltlichen Gäste und die Laienbrüder des Klosters diente. Der Raum war menschenleer, und vor allem fehlte der Wirt. Als Rinaldo sich allmählich fragte, ob man ihn über den nächtlichen Trubel vergessen hatte, oder (schlimmer!) ob man seinen überzogenen Aufenthalt bemerkt hatte und ihn auf eher sanfte Art aushungern wollte, öffnete sich endlich die Tür, von der Rinaldo wusste, dass sie ins Atrium des Klosters direkt vor der Klosterkirche führte. Der Schlüssel drehte sich eine Weile im Schloss. Die größte Angst der Mönche schien zu sein, dass ein Außenstehender unbefugt in ihre Welt eintrat. Dann endlich stapfte der Wirt herein, statt mit einer Schüssel
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