Im Schatten des Klosters - Historischer Roman
Schädel«, sagte Rinaldo leise und stippte auf Ulrichs Hühnerschenkel. »Du kannst beruhigt essen, Herr«, rief er dann. »Ich habe alles gekostet, nichts ist verdorben.«
Ulrich fuhr herum. Der Wirt stand hinter ihnen und sah sie mit unterwürfigem Lächeln an. »Ist alles zur Zufriedenheit?«, erkundigte er sich ängstlich. Sallesfiedenheit?
Ulrich nahm den Hühnerschenkel in die Hand. In seiner Fassungslosigkeit wegen Rinaldos unbekümmerter Geldausgabe gelang ihm eine überzeugende Vorstellung arroganten Klerikergehabes. »Das werde ich gleich wissen«, sagte er.
Der Wirt zog den Kopf ein, als hätte er sich eine Ohrfeige eingefangen, und schlurfte davon. Ulrich ließ das Fleischstück wieder in seine Schüssel fallen.
»Es ist wirklich gut«, sagte Rinaldo.
Ulrich ballte hilflos die Fäuste. »Das alles ist kein Spiel …«, begann er.
»No«, sagte Rinaldo und sah ihm ins Gesicht. »Das ist es nicht, madonna santa! Also erzähl mir etwas über die heilige Albo, damit ich vernünftig arbeiten kann.«
Rinaldo tat so, als würde er Ulrich auflegen, und nahm dabei den Hühnerschenkel aus dessen Schüssel. Er lieferte einen Beweis seiner Fingerfertigkeit, indem er stattdessen einen anderen, blank genagten Knochen zurückließ. Ulrich starrte den Knochen an und musste an Zacharias denken. Der Bratenduft hatte auf einmal keine Wirkung mehr. Rinaldo indes verzehrte das Fleisch des neuen Schenkels mit gierigen, genüsslichen Bissen. Ulrich fiel jetzt erst auf, wie groß und spitz seine Eckzähne waren, beinahe wie die eines Tieres.
Er seufzte. So viel Geld war weg! Und es bedurfte noch weiterer Ausgaben, und sie waren erst seit heute Morgen hier. Ulrich fragte sich, mit wem er sich da eingelassen hatte. Doch als Rinaldo vom Essen aufsah und ihn angrinste, konnte Ulrich nicht anders, als widerwillige Sympathie für den kleinen Italiener zu empfinden.
»Der heilige Albo kam aus Hispanien«, sagte Ulrich schließlich. »Das war zur Zeit von Carolus Magnus. Er war Mönch und auf der Flucht vor der adoptianischen Ketzerei und vor den Mauren, die den größten Teil des Landes beherrschten.«
»So wird man also zu eine Heilige«, brummte Rinaldo. »Man muss nur rechtzeitig abhauen.«
»Albo empfahl sich und seine Seele dem Herrn, denn er sagte sich: Und ob ich auch wandle durch ein finsteres Tal, ich fürchte nichts, denn …«
Vom Kaminfeuer her erklangen plötzlich Rufe und wieherndes Gelächter und ein über dem Lärm der Schankstube deutlich vernehmbares: »Was guckst du so blöd, Rübengesicht?« Ulrich sah sich unwillkürlich um, ohne ausmachen zu können, worum es dort drüben ging. Das ungute Gefühl, das er an der Anlegestelle der Fähre gehabt hatte, meldete sich aufs Neue. Die Stadt. Die große, gefährliche, mörderische Stadt …
»… denn du bist bei mir und weidest mich auf grünen …«
»Jetzt iss endlich«, sagte Rinaldo, »die Wirt schaut schon wieder her. Du bist Bruder Antonio, die gefürchtete Knochenjäger, und nicht ein demütiges Mönch.«
Ulrich atmete aus. »Ich esse nur Brot und Gemüse. Außerdem … wer sagt dir, dass Bruder Antonius nicht in Askese lebt?« Er spähte über die Schulter zum Wirt hinüber und pickte sich eine Kohlscheibe aus dem Fleischhaufen heraus. Sie roch betörend nach dem Braten und weckte Ulrichs Hunger wieder. Der Wirt wandte sich ab, und Ulrich ließ den Bissen fallen. Vielleicht konnte er den Herrn gnädig stimmen, wenn er mit Fasten ein Gegengewicht zu all den Sünden schuf, die schon in seinem Auftrag begangen worden waren (und vielleicht konnte er durch seine Frömmigkeit den Herrn bewegen, Unheil in Gestalt rauflustiger Stadtbewohner von ihm fern zu halten). Tief in seinem Innern regte sich der Gedanke, dass Jesus Christus nichts darüber ausgesagt hatte, dass sein Vater Verfehlungen und gute Taten so kleinlich gegeneinander aufrechnete wie der Vogt eines Bischofs den Zehnten seiner Pächter; doch langjähriger Bibelunterricht und der Einfluss von Bruder Fredegars zisterziensischem Gedankengut ließen sich nicht so leicht abschütteln. Sein Magen knurrte enttäuscht.
»Weil die Bruder Antonio dann schön dumm wäre«, sagte Rinaldo und schob Ulrich den Weinbecher zu.
»Und ich trinke nur Wasser.«
»Du willst wohl selber eine Heilige werden, eh?«
»Möchtest du nun Sankt Albos Vita erfahren oder nicht?«
»Natürlich.« Rinaldo ließ den Becher stehen. »Aber tu wenigstens so, als ob du trinken würdest. Ich halte dann für dich mit.«
»Wie
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